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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Hühner und Küken. Was weiter, dachte ich. Beim zweiten Blick allerdings erkannte ich bereits, daß die Hühnerwelt während meiner Absenz und ihrer Absenz – denn erst der Dschungel hatte sie wieder neu hervorgebracht – sich auf das Imposanteste verändert hatte. Die Veränderung war zwar nicht ganz so gewaltig wie im umgekehrten Sinne die der Ziegen und Schafe zu Capricornetten und Ovetten, aber in Sonderheit die Hähne schienen weit über ihr gewohntes Maß hinausgewachsen zu sein. Sie hatten nicht gerade die Hochgestalt von Straußen erreicht, befanden sich aber auf dem besten Wege dahin. Nun, ich will nicht übertreiben, sie waren gut um ein Drittel größer und vor allem dicker als die unsrigen in den Anfängen der Menschheit. Das Tier ist immer inkarnierte Einseitigkeit, bis vielleicht auf den Hund, diesen vielseitigen Kopisten. Die Einseitigkeit, welche die Hähne verkörperten, war niemals sympathisch. Einst, zu meiner Zeit, hatten sie eitel daherstolzierenden Hidalgos geglichen. Ritter Heißsporn, das war ein Hahn. Hier, im Festungsgraben zwischen Dschungel und Welt, waren die Hähne keine drahtigen Kavaliere im stahlschimmernden Federgewand mehr, sondern aufgeschwemmte Bohemiens. Schlapp und fett stand der Kamm auf dem dummen Kopf, und eine unverschämt beutelige, brandrote Lavalliere- oder Künstlerkrawatte schwabbelte ihnen unterm Schnabel. Sie überwachten ihr nickendes, pickendes Hühnervolk nicht mehr so streng wie einst. Sie schienen geniale Geistesabwesenheit zu posieren. Manchmal krähte einer der Hähne: Es war aber kein tenorales Kikeriki mehr, sondern ein tiefes, ausgesungenes Gekrächze. Andere besprangen zerstreut die Hennen, unterbrachen ihr Werk aber mitteninne, als lenke sie ein kostbarer Einfall ab. Wenn demnach Chanteclair, das gallische Hierozoon, doch auch das Opfertier des griechischen Äskulap, sich gewiß zu seinem Nachteil verändert hatte, so war das »Uh« und »Huh« des Ekels doch nicht ganz angemessen, welches die Mentalen bei seinem Anblick schaudernd ausstießen. Was würden diese feinen Leute erst zu Lämmer-, Mönchs-, Aasgeiern und Uruhus gesagt haben, wenn diese sich in langsamem Gleitfluge über ein gefallenes Pferd zur Mahlzeit niederließen. Inzwischen schien sich das Hühnervolk im Festungsgraben auffällig zu vermehren. Lauter und lauter wurde das Gegacker der fetten Hennen und das Gekrächze der ausgeschrienen Tenöre, denen ihr Kikeriki hinuntergerutscht war. Der Himmel färbte sich schon, und die Stunde war nicht fern, von der es heißt, daß man in ihr mit den Hühnern schlafen geht. Der Einbruch des Federviehs in den Festungsgraben machte auf mich immer mehr den Eindruck einer absichtlichen Veranstaltung. Ja, irgendeine satyrische Absicht mußte im Spiele sein, um das nervöse Grauen der hochnäsigen Menschheit gegenüber den braven Eierlegern herauszufordern. Wie sehr ich mit diesem Verdacht recht hatte, kam schon in der nächsten Minute an den Tag. Zuerst waren’s glitzernde Augen und Gesichter, die dort drüben zwischen dem dichten grünen Gesträuch hervorstarrten. Dann teilten sich die Büsche, und es erschienen Menschen, die einzeln und in Gruppen bis an die Zäune der Schrebergärten vortraten und zu uns, herüber und herauf, manchen verstohlenen Blick sandten. Die Dschungelleute waren keineswegs Pygmäen. Ihre kräftigen Gestalten überragten im Gegenteil die astromentalen Zeitgenossen um ein gutes Stück. Möge der skeptischere Teil der Leser mit Recht oder Unrecht meinen Astigmatismus für den Vergleich verantwortlich machen, ich sah in jenen Primitiven ein Mittelding zwischen farbenprächtigen Zigeunern, wie sie etwa Victor Hugo und andere Romantiker beschrieben haben, und ehemaligen Montenegrinern oder albanischen Skipetaren, die ich aus eigener Anschauung kennen gelernt hatte. Die Männer trugen ihr glänzendes Schwarzhaar in Zöpfen geflochten rechts und links über der Schulter. Einige hatten rote Zipfelmützen über den Scheitel gestülpt. Ihre Jacken schimmerten und klimperten von Silberknöpfen, Medaillen und Schnüren. Wie aus runzligem Wurzelholz der südlichen Steineiche oder des Ölbaums geschnitten wirkten die Gesichter, die Hälse, Hände und Unterarme. Ich konnte schwarze, graue und weiße Schnauzbärte unterscheiden, die tief herabhingen, sowie die Fratzen von zwei oder drei zahnlosen Greisinnen, die hexenhaft verwittert waren. Junge Frauen sah ich nicht. Die Kinder aber kamen vom Rummelplatz herbeigelaufen und schmiegten sich

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