Stern der Ungeborenen
irgend etwas Kommendem gemischt war. Sie umsprangen die Menschen auf dem Söller, sie liefen auf der Fläche der Mauer wie besessen hin und her, bildeten kläffende Konventikel, die mit kurzen Anrufen und Hetzworten auf die Katzen einhämmerten, ohne sich freilich näher zu wagen. Um die Rede eines oder gar das Geschwätz mehrerer Hunde zu verstehen, mußte ich immer eine Weile warten, damit sich das flache Gebelle und Geknurre in meinem eigenen Gehör zu Worten differenziere. Ich kann daher nicht den genauen Wortlaut, sondern nur den allgemeinen Sinn jener Interjektionen und Anwürfe zum besten geben, wie sie die versammelte Hundeschaft der auswandernden Katzenschaft nachschleuderte:
»Da sieht man’s wieder … Der berühmte Instinkt, he, was … Großmama hat schlecht geträumt … Instinkt, ja, aber wo bleibt Treue und Naivität … Oh, ihr Verruchten, oh ihr Verfluchten, wie gut, euch los zu sein … In den Dschungel, ha, ha, wo es keine Säftlein gibt, nicht pistaziengrüne und nicht einmal safrangelbe … Aber behaarte Papachen und Mamachen gibt’s … Da gehört ihr hin, aber nicht wie wir in die Kultur, Kul – tur …«
Die beiden Silben von Kultur, dessen erinnere ich mich ohne Zweifel, gingen in ein wüstes Gebelle über. Die Katzen, die in schlanken Wellen den Felsbruch hinabsausten, kümmerten sich den Teufel um ihre Rivalen. Sie sahen sich nicht einmal um. Sie reagierten mit keinem Maunzer. Vermutlich fühlten sie die Bewunderung, die sich hinter Schimpf und Anklage verbarg, diese ewig mißvergnügte Bewunderung der Domestizierten, der Philister für die, welche ausbrechen. Am weitesten hatte sich eine Hündin namens Melba in die Nähe des Katzenexodus vorgewagt. Weiß Gott, warum sie diesen Namen trug, der in meiner eigenen Jugendzeit sehr berühmt war. Alle Hunde nannten sich, wie schon bekannt, selbst bei ihrem Namen und sprachen in der dritten Person von sich, ein Brauch, der uns von Kindern und Primitiven vertraut ist. Ich will die Möglichkeit nicht leugnen, daß ich mich verhört habe und daß jenes Tier Malba hieß. Melba oder Malba, wie auch immer der Name lauten mochte, hatte ihren Kopf schief gelegt und hielt die Schnauze hoch, wie es die Hunde zu tun pflegen, die den Mond anbellen. In ihrem Fall heulte sie die sinkende Sonne an. Ich unterschied zwei Ausrufe, die sie immer wiederholte:
»Melba sehnt sich … Melba will singen …«
Die Hunde schienen die Heulende genauer zu verstehen als ich. Ein böses, empörtes Geknurre ballte sich gefährlich hinter ihr zusammen:
»Du Hündin … Du Tochter einer Hündin … Fort mit dir in den Sumpf …«
Ich bitte den Leser hier zu beachten, daß die Hunde das Wort »Hündin« als schmutziges Schimpfwort benützten. Diese seltsame Gewohnheit, sich durch sich selbst zu beschimpfen, haben die Hunde nicht erfunden. Alle Verachteten, Verlachten, Verfolgten übten sich seit jeher in ihr. Wenn Prostituierte in Streit geraten, wirft unweigerlich eine der anderen die »Hur« an den Kopf. Und ich erinnere mich eines komischen Gauklers, der griesgrämig wie alle seines Zeichens über einen andern Gaukler die Achseln mit den Worten zuckte: »Was wollen Sie, ein Clown!«
Während das letzte Viertel der roten Sonne alpenglühend über den Schneefeldern des Hochgebirges stand und ein kreosotduftender Schwall von Purpurlicht die Räume durchdrang, schien der Exodus der Katzen seinen Höhepunkt erreicht zu haben. Immer neue Scharen verschwanden in der terrassierten Landschaft des Dschungels. Durch den schmalen Körper der Hündin Melba oder Malba oben auf der Brustwehr ging ein Krampf, ein Zittern. Sie zerrte an einem unsichtbaren Halsband, das sie zu würgen schien, denn sie stieg hoch wie ein Pferd. Plötzlich aber riß sie sich los von der imaginären Leine ihrer mentalen Hundemoral, sprang über die Mauer, rutschte den Berg hinab und galoppierte, immerzu heulend, neben den hinhuschenden Katzen wie ein Hirtenhund neben der Herde. Binnen weniger Sekunden war sie in den Schrebergärten und im Gebüsch verschwunden. Darüber verloren die anderen Hunde beinahe ihre Sprachkenntnisse. Ein hysterisches Gekläffe, Gezeter, Gequarrel in allen Stimmlagen setzte ein, und ich bin überzeugt, daß Io-Fagòr oder ein anderer die Hundegesellschaft mit strengem Verweis weggejagt hätte, wäre nicht ein Ereignis eingetreten, daß die allgemeine Aufmerksamkeit mächtig an sich zog.
Schon seit einer geraumen Weile war ich dessen gewahr geworden, daß diese
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