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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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denn mein ausgedienter Frack erschien ihnen zweifellos als ein phantastisches Kostüm aus der Maskenleihanstalt menschlicher Urgeschichte, viel phantastischer gewiß, als mir etwa ein Ritter in Turnierrüstung und Helmbusch zu meiner Zeit erschienen wäre.
    Es ist eine alte Erfahrung für jedermann, der in einen Kreis von Menschen sehr fremder Rasse tritt, daß die Gesichter dieser Menschen einander quälend gleichen und er die größte Mühe hat, sie auseinanderzuhalten. Meist hilft er sich damit, daß er die Unterscheidungsmerkmale im verschiedenartigen Körperwuchs und in der Gewandung sucht. Beides war mir unmöglich. Die Persönlichkeiten um diesen Tisch schienen alle von gleichem Körperwuchs zu sein, von zierlicher, ja man möchte fast sagen lieblicher Gestalt, Männer und Frauen. Ihre harmonische Mittelgröße widerlegte die übliche Vorstellung vom riesenhaften, willensgestählten Zukunftsmenschen, die auch ich zu meiner Zeit gehegt hatte. Ebensowenig wie der Wuchs kam mir die Kleidung zu unterscheidender Hilfe. Wenn die Persönlichkeiten hier das eigenartige Licht auch wie ein leichtes, kommodes Hausgewand um den Körper trugen, so verwischte es eher jede Verschiedenheit als sie zu verraten. Von allem Anfang an fühlte ich, daß die Nacktheit der anwesenden Gestalten in keiner Weise mit dem zu vergleichen war, was in meiner Epoche der Schönheitsköniginnen am Badestrand und auf dem Sportplatz als Nacktheit oder Halbnacktheit umzugehen pflegte. Dies ist ja nicht eigentlich Nacktheit gewesen, sondern nur Ausgezogenheit oder Enthülltheit dessen, was gewohnheitsmäßig verhüllt war. Diese Nacktheit hier hingegen schien als nackt gedacht zu sein, sie stand nicht im Widerspruch zu sich selbst, sie konnte als traditionelle Lebensregel im Hause gelten, sie hatte nicht den heimlichen Wunsch, Blicke auf sich zu ziehn und Begierden zu erwecken, sie war unschuldig. Wäre ich ein schwärmerischer Sektierer, so würde ich vielleicht von der wiedergewonnenen paradiesischen Nacktheit sprechen können. Schon die nachgedunkelte Elfenbeinfarbe dieser »mentalen« Körper, fern von allem Milch und Blut, offenbarte und verbreitete eine Sinnenkühle, die sich kaum beschreiben läßt.
    Die Schönheit der zartgliedrigen und feingesichtigen Persönlichkeiten in dem Raum besaß aber die berauschende Eigentümlichkeit nicht, die wir mit der Wortverbindung »strahlende Schönheit« beschreiben, jene unentrinnbare Macht, welche den atemlosen Blick an sich reißt und dürsten läßt, indem sie ihn erquickt. Niemand hier war strahlend schön; man war streng schön oder mild schön oder durchsichtig schön. Da aber alle schön waren und somit der Vergleich, dieser Ursprung jeder Wertordnung, meinen Augen fehlte, so gewöhnten sie sich recht geschwind an all die unbekannte Schönheit. Dazu kam noch die ewige Jugend, oder genauer, die Alterslosigkeit, eine hohe Errungenschaft der vergangenen Zeitalter. Zuerst glaubte ich, in jedem der hier anwesenden Paare das junge Brautpaar, IoDo und Io-La, entdecken zu müssen. Bald aber wurde ich belehrt, daß Sitte und Brauch, Zeremoniell und geheime Hygiene es den Hochzeitern verboten, sich vor ihrer Vereinigung ohne weiteres unter die Hochzeitsgäste zu mischen, die das Haus belebten. Sie lagen, nahe und doch getrennt, ein jedes auf dem Ruhebett seines Appartements, der Betrachtung, der Träumerei und pfleglicher Fürsorge hingegeben. Die Männer und Frauen, in denen ich die jungen Verlobten gesucht hatte, waren die Eltern und die Großeltern der Braut, und so auch die Eltern und Großeltern der Gegenseite. Die Großeltern schienen um kein Fältchen älter zu sein als die Eltern, und letztere wiederum – ich wüßte nichts Jugendfrischeres zu nennen als diese munteren Eltern. Wenn es einen Altersunterschied gab, so lag er einzig im Blick und in der Einbettung der Augen. Aber um diesen Unterschied zu erspähen, dazu gehörte schon ein längerer Umgang mit dieser Gegenwart, die, während ich dies niederschreibe, wieder zur fernsten Zukunft geworden ist.
    Halt! Als ungeübter Berichterstatter hätte ich über die Zergliederung meiner eigenen Eindrücke einen äußerlich wichtigen Umstand beinahe zu reportieren vergessen. Es gab einen Unterschied, und einen sehr auffälligen dazu. Die hier versammelten, zart gestalteten Persönlichkeiten trugen Perücken. Innerhalb des vergangenen Jahrhunderttausends mochte es der Lauf der Natur so gefügt haben, daß den Menschen die Haare ausgegangen waren.

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