Stern der Ungeborenen
Ich muß mich energisch zurückrufen, um nicht schon an dieser frühen Stelle von der gewaltigsten meiner Reiseerfahrungen zu sprechen, welche auf dem neuen Verhältnis der astromentalen Menschen zum Sternenall beruht. Sie verstanden genauer, als wir’s uns erträumen können, wie sehr sich jeder Punkt im Kosmos auf jeden Punkt im Kosmos bezieht und wie unbedingt von diesem lückenlosen Beziehungsgewebe alles Irdische abhängt. Das Wort »Horoskop« ist viel zu plump, es klingt in unsern Ohren viel zu sehr nach mechanisch-dilettantischer Wahrsagerei, um jene sideralen Subtilitäten und Finessen auch nur anzudeuten, unter deren Hut man die heranreifenden Gatten körperlich, seelisch und moralisch stellte. Ihr Aufenthalt wurde danach geregelt, ihr Unterricht, ihr Spiel, ihr Vergnügen, ja ihr Schlaf. Nur dreimal durften Jüngling und Jungfrau einander an bestimmten Lebenswenden begegnen, ehe das Verlöbnis geleistet wurde. Es waren drei Proben, um zu ermitteln, ob etwa ein heimliches Widerspiel, eine verborgene Antipathie, eine unvermutete (sternbedingte) Wegwendung das feine Verbindungswerk zu stören drohe. Solche Mißverhältnisse traten dann und wann zutage, worauf die Bindung sofort gelöst wurde und die Welt etwas zu klatschen hatte. Besser, sie hatte jetzt etwas zu klatschen als später, was soviel heißen will, daß trotz aller Vorsichtsmaßnahmen auch in der astromentalen Welt Liebestragödien, Ehebrüche, ja sogar Scheidungen vorzukommen pflegten, wenn sie auch unvergleichlich tieferes Leiden verursachten als in der unseren. Ging jedoch alles gut, so mußte nur der dreiunddreißigste Geburtstag des Bräutigams abgewartet werden, an welchem der Mann das gesetzlich vorgeschriebene Reifealter erreichte. Die Stunde der Vermählung war gekommen. Dieser Stunde gingen freilich Monate der inneren Vorbereitung voraus. Sie bestanden aus Belehrung, Betrachtung, Selbstprüfung, kurz aus psychologisch-moralischen Exerzitien, denen die Brautleute, jeder für sich, unterworfen wurden, um sie für das Opfer an Persönlichkeit geschmeidig zu machen, ohne das eine echte Ehe nicht zu denken ist. Waren diese Exerzitien zur Zufriedenheit der Prüfenden und Geprüften beendet, so folgte die eigentliche Festeszeit, die hohe Zeit im wahren Wortsinne, die drei Tage umfaßte, von denen der weit größere Teil im Brauthause, der kleinere in der Öffentlichkeit gefeiert wurde. Die Trauung fand zur Mittagsstunde des dritten Tages statt.
Die Erwähnung dieses Stundenplans ist unerläßlich, bildet er doch den Rahmen meines kurzen aber ertragreichen Aufenthaltes in einer Zukunft, von der ich mir nie hatte etwas träumen lassen. Um seinetwillen war ich gezwungen, den annoch dürftigen Fluß dieser Erzählung so nahe der Quelle zu unterbrechen. Ich verspreche aber bereits hier, daß ich ungleich andern reisenden Pedanten weder durch Karten, Croquis noch sonstige Abbildungen der freien Auffassung meiner phantasievollen Leser den geringsten Zwang antun werde.
»Es ist heute der erste Tag des Hochzeitsfestes von Io-Do und Io-La«, sagte B. H., indem er die Gartenpforte vorsichtig hinter sich schloß. »Den Vormittag hast du leider schon versäumt.« Nach diesen Worten setzte er sich langsam in Bewegung. Ich stand noch immer breitspurig still auf meinen unsichtbaren, aber festen Beinen. Nicht ohne Trotz stellte ich die Frage:
»Was habe ich eigentlich bei dem Hochzeitsfest des ausgezeichneten Paares Io-Do und Io-La zu suchen?«
»Du bist doch eine besondere Ehrengabe, F. W.«, versetzte mein Freund, ohne sich umzudrehen, »verstehst du das nicht?«
Ich verstand. Die Erscheinung eines Wesens aus dem grauesten Altertum der Menschheit war ein Hochzeitsgeschenk B. H.’s an das junge Paar am ersten Tage der Festlichkeit. In früheren Zeiten hatte man Affen, Papageien, Zwerge und Hofnarren zum Präsent gemacht. Heute schenkte man »zitierte Geister«. Warum nicht? Was sie freilich mit einem Unsichtbaren anfangen werden, steht dahin. Mir wurde trotz meines Zustands heiß und kalt. Schon wollte ich eine bissige Bemerkung machen, als B. H. mit leiser Stimme sagte, immer noch den Rücken mir zuwendend:
»Du verstehst hoffentlich auch, daß ich vor allem dir eine Ehrengabe machen will …«
Seine Stimme klang warm und aufrichtig. Er hatte mir wahrhaftig ein Präsent gemacht, in welchem alle andern Gaben enthalten sind: Leben und Bewußtsein. Hin- und hergerissen zwischen Dankbarkeit und einem leichten Ärger, heftete ich meinen Blick auf die
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