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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Fest- und Begräbniskleid weder Aufsehen noch Spott. Wir schritten durch einen breiten, dunklen Torgang, der voll war von Fortgehenden und Ankommenden, und gelangten über eine ausgetretene Treppe in die große Halle des Brauhauses. Trotz des frühen Morgens waren die meisten Tische schon besetzt. Vielleicht ist es Markttag, dachte ich. Denn ich konnte nicht einen Augenblick daran zweifeln, daß wir uns hier wiederum in einer »ökonomischen Welt« befanden, in einer Welt des munter-jämmerlichen Kaufens und Verkaufens. So, und jetzt ist es Zeit für den ersten Satz dieses Kapitels, den ich vorhin so schnöde allein gelassen habe:
    Und daß saß ich nun wieder einmal an einem richtigen eichenen Ratskellertisch, in einem großen, rauschenden, raucherfüllten Lokal, von dem ich den bestimmten Eindruck davongetragen habe, daß es »Brauhaus zum Mittelpunkt« hieß. Ich sah, daß die Gäste ringsum braunes Bier aus steinernen Krügen tranken, und ich freute mich leidenschaftlich auf diesen ebenso unvergessenen wie langentbehrten Genuß. Meine Begleiter lasen mir den Wunsch von den Augen und lächelten einander zu.
    »Die Zuträgerin wird bald da sein mit Ihrem Trunk«, sagte der eine, worauf sie sich beide empfahlen. Der andere drehte sich aber noch einmal um und rief mir mit unterdrückter Stimme zu:
    »Der General wünscht Sie selbstverständlich zu sehen.«
    Der General, dachte ich, das kann gut werden. Doch mir blieb nicht viel Zeit, über diesen General, der mich sprechen wollte, zu erstaunen, denn ein lauter Chorgesang lenkte mich ab. Mag sein, es war nur ein Vokalquartett oder vielleicht Sextett und kein Chor, das von einem fernen Podium herabschallte, jedenfalls aber war es tönende und keineswegs nur innere Musik, die den Dschungel von der Welt des Sympaians unterschied. Es mußte zweifellos der übliche Gasthauschor sein, wie er zum Frühschoppen in Dschungel-Bergstadt gesungen zu werden pflegte. Ich bemerkte in meiner Umgebung, daß mancher unter den Zechern an den Tischen mitsummte oder mit Hand und Fuß den Takt schlug. Doch gerade diese Weisen der Sänger bewiesen mir, daß mein Eindruck, der Dschungel sei ein Rückfall bis 1860 , eine bloße Illusion war. All diese Chorweisen (und auch ihr Tonsystem), langsam, knautschend, indolent, traurig, gehörten einem gänzlich fremden Zeitalter an.
    Es dauerte nicht lange, und das schaumgekrönte dunkle Bier im Steinkrug stand vor mir auf dem Tisch. Ich tat einen langen, leidenschaftlichen Zug. Die wilde Befriedigung, die der Trunk in mir auslöste, war nicht zu vergleichen mit derjenigen, welche ich gestern nach dem Genuß der heidnischen Mahlzeit von Wasser und Käse, der christlichen von Wein und Brot und der jüdischen von Milch und Honig empfunden hatte. Ich wollte gerade zum zweiten Male den Krug ergreifen, als ich spürte, daß die Zuträgerin noch immer am Tische verharrte. Ich nahm an, es sei hier Gepflogenheit, die Zeche sofort zu begleichen, eine mißtrauische und abweisende Zumutung populärer Gaststätten. (Wir befinden uns im Urwald des Elften Weltengroßjahrs der Jungfrau, inmitten der altertümlichsten Ökonomie, an solchen Kleinigkeiten merkt man’s.) Ich erinnerte mich, daß man glücklicher, aber schlampiger Weise in den Hosentaschen meines Fracks einige Vierteldollar und kleinere Münzen zurückgelassen hatte, die mit derselben peniblen Sorgfalt wieder hergestellt waren wie der Leberfleck auf meinem rechten Arm und der Goldzahn links oben. Ich griff in die Tasche und zog drei Vierteldollar heraus, um nicht nur mein Bier zu bezahlen, sondern auch ein gutes Trinkgeld der Zuträgerin zu geben. Die Überlegenheit des amerikanischen Zahlungsmittels über jede andere Geldsorte war solch eine dogmatische Erfahrung meiner verflossenen Lebenszeit, daß ich auch in Dschungel-Bergstadts Brauhaus zum Mittelpunkt nicht zweifelte, ich werde für meine drei Vierteldollar die unterwürfige Danksage der Zuträgerin ernten. Der Zufall oder meine Ungeschicklichkeit aber wollte es, daß eine der Münzen meiner Hand entfiel und unter den Tisch rollte. Ich bückte mich nach ihr, wobei der Männerchor besonders laut in mein Ohr dröhnte. Da sah ich zwei elfenbeinblasse Frauenfüße mit edelgeformten Nägeln auf goldenen Kothurnen. Ich erhob mich langsam. Ich wußte, wen ich vor mir hatte, wenn auch Lala nicht mehr in ihr taubengraues Brautschleierkleid gehüllt war, sondern eine Art Bauerngewand trug mit viel Goldstickerei und sichtlich damenhaft modifiziert. Heut’

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