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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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recht haben.
    Jetzt schob der General die Papiere fort und drehte sich um: »Wie nennt man ihn?« fragte er seine Adjutanten, die meinen astigmatischen Augen erst allmählich deutlich zu werden begannen. Seinem Stuhl zunächst stand niemand andrer als Io-Joel Hainz, der Sohn Minjonmans, der aber seine astromentale Tracht nicht abgelegt hatte. Er war der einzige in diesem Zimmer, der den goldenen Kopfaufsatz trug und ein dunkles Schleiergewand.
    »Sie nennen ihn drüben Seigneur«, sagte König Sauls Sohn, indem er sich ein wenig zu den abstehenden Ohren Konstantins beugte. »Dann werde ich ihn Gospodar rufen«, knurrte der General. Er sprach zweifellos die Monolingua, wenn auch in fremdartig harter Weise.
    Ich verstand ihn, wie ich während meines Aufenthalts alle und jeden verstanden habe, weniger zufolge äußerer Sprachkenntnisse als innerer Verstehensbereitschaft. Konstantin wandte sich wieder an Io-Joel, der hier in Dschungel-Bergstadt überaus mental wirkte, so wie er in California-Unterstadt betont antimental gewirkt hatte. Es wurde mir niemals klarer als in diesem Augenblick, daß er weder dorthin noch hierher gehörte. Und ich spürte, daß er unter diesem Gedanken, den ich faßte, unsicher wurde und litt.
    »Erkläre ihm kurz, worum es sich handelt«, befahl der Kommandant.
    »Seigneur und Doktus«, begann Minjonmans Sohn, und sein Mißbehagen und seine Geniertheit wurden mir immer deutlicher: »Sie kennen die Tatsache. Sie kennen aber nicht die Bedeutung der Tatsache. Die Tatsache ist vergossenes Blut. Die Bedeutung ist zu vergießendes Blut.«
    »Warum soll ich diese Bedeutung der Tatsache nicht kennen«, erwiderte ich, nicht Io-Joel, sondern Konstantin scharf ins Auge fassend, »vergossenes Blut schreit zum Himmel und fordert zu vergießendes Blut, insbesondere nach einer so unnatürlich langen Friedenszeit …«
    Ich blinzelte unmerklich aus meinem Augeneck zu Io-Joel hin. Sein ein wenig albinöses Gesicht war bleich. Flecken und Sommersprossen traten hervor. Der junge Mann hatte seine selbstsichere Suffisance und den kalten Sarkasmus verloren, mit dem er mir in der Ehemaligen Unterstadt drüben begegnet war. Hier in Dschungel-Bergstadt, im Büro dieses famosen urtümlichen Generals, schien er an dem Gefühl seiner eigenen Unzulänglichkeit zu leiden. Ich kannte seinesgleichen ziemlich genau aus meiner eigenen Lebenszeit. Er glich jenen fanatischen Idealisten, die, weil sie den moralischen Zustand ihrer eigenen Schicht haßten, die Schichten darunter für höher erachteten. Io-Joel, mit Sternnahrung und mit Milch und Honig überfüttert, bewunderte in den Biertrinkern des Brauhauses zweifellos die Frische, die Kraft, das ihm fremde bäuerische Urbehagen in solch kleinlautem Maße, daß ihm der ganze Hochmut, mit dem er die astromentale Kultur verachtete, hier in der Wildnis verging. Ich hatte in Minjonmans Sohn schon längst jene mir wohlbekannte Neigung der Intellektuellen durchschaut, die sich einst zwischen Rousseau und den Deutero-Marxisten als sentimentaler Haß gegen das eigene Herkommen offenbart hatte.
    »Mißverstehn Sie meine Rolle nicht, Doktus und Seigneur«, sagte er. »Ich bin kein Anwalt des zu vergießenden Blutes, wie Sie vielleicht nach unserm Gespräch in meines Vaters Hause denken könnten. Ich bin es nicht. Und der General ist es auch nicht. Wir stellen uns die Erneuerung der Welt ganz anders vor.«
    Aha, dachte ich, das kennen wir auch. Man möchte im letzten Augenblick vor der Aktion auskneifen. Bürgerliche Bedenklichkeiten, mit denen die echten Revolutionäre freilich schnell fertig werden.
    »Sie erlauben«, sagte ich, setzte mich keck auf den Generalstisch und ließ meine Beine herunterbaumeln. Diese Kühnheit machte Konstantin wütend, schien ihm aber gleichzeitig zu imponieren, denn anstatt mir die Unart zu verweisen, knurrte er Io-Joel an:
    »Wo der Jude des Zeitalters auftaucht, lösen sich die Fakten in Gespräche auf …«
    Tiefgekränkt straffte sich der junge Mann und verkündete mit viel zu übertriebenem Stolz:
    »Nicht ich habe die Ehre, der Jude dieses Zeitalters zu sein, sondern mein Vater …«
    Der General, uneingedenk des Versprechens, das er Lala gegeben, zündete sich eine dünne, lange, hornartig gebogene Zigarre an und begann zu paffen, daß mich der Neid packte.
    »Information dem Gospodar«, befahl er und lehnte sich zurück. Ich sah, wie Io-Joel sich zusammennahm und zur kalten Sachlichkeit zwang:
    »Was hier vorgeht in diesem Dschungel, Doktus, das

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