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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Handwerk verstand.
    »Das genügt«, verbeugte ich mich vor den Damen, worauf ich sofort nichts mehr sehen konnte. Man hatte mir nämlich wieder das rote Seidentuch des Unterhändlers vor die Augen gebunden. Als man mich ins Freie brachte, rauschte es mir in den Ohren wie von marschierenden Kolonnen und rasselndem Geschütz. Dies aber war pure Einbildung.
    Der Jemand, der mich an der Hand führte, nahm mir auch das Tuch ab. Ich wußte mit einem Blick, daß ich mich auf dem Kirchplatz des Grenzdörfleins von gestern befand, wo das Ringelspiel und die primitiven Schaukeln verlassen dastanden. Und dort entfernten sich auch die skipetarischen Dschungelbauern in ihrer Sonntagstracht, die mich zuerst im Hui nach Bergstadt und nun wieder zurückgebracht hatten. (Es war ganz natürlich, daß man hier über manche Errungenschaften der Vergangenheit verfügte, die jenseits der Brustwehr schon längst vergessen waren.) Noch einmal leuchteten dir roten Quastenmützen auf, dann verschwanden sie um die Ecke.
    Der Jemand aber hielt noch immer meine Hand. Es war Lala in ihrem goldgestickten Mieder und mit dem Kopftuch, zu welchem die goldenen Kothurne so wenig passen wollten. Hatte sie mich begleitet? Oder war sie mir nachgekommen? Mich durchzuckte es jäh: Sie will mit dir gehen. Sie folgt dir nach Hause. Kaum aber hatte ich diesen Gedanken gefaßt, fühlte ich zu meinem Erstaunen, ja zu meinem leichten Schrecken, daß ich seine Erfüllung gar nicht wünschte. Mein Entzücken an Lala war ebensowenig verschwunden wie meine Verliebtheit. Nicht die Intensität ihrer Figur war in mir verblaßt, sondern der Hintergrund des Bildes und der Rahmen traten stärker hervor.
    In diesen Minuten auf dem dörflichen Kirchplatz fühlte ich mich besonnener, fast hätte ich gesagt »doppelter« als jemals. Ich wußte, was der Welt unabwendbar bevorstand. Ich wußte, daß Lala und alle Taubengrauen hier sicherer waren als in ihrem Elternhaus. Ich wußte, daß Lala den General nicht verlassen werde, Konstantin, in dem ihr das erste Mal die männliche Naturgewalt begegnet war, etwas, was es drüben im Astromentalen seit Äonen wohl nicht mehr gegeben hatte. Neben all diesem vernünftigen Wissen aber lief in meinem Geiste eine Strähne von Verlegenheit, die in dem männlichen Schuldgefühl wurzelte, das sich immer dann einstellt, wenn das konzentrierte Interesse an einer Frau abzuklingen beginnt. Trotz meiner Verliebtheit und Verzauberung, ich begann mich abzuwenden von Lala. Ich hätte es diesmal leicht gehabt, mein Schuldgefühl nicht weiter zur Kenntnis zu nehmen, da nicht ich das Mädchen verlassen hatte, sondern sie mich. Meine Verlegenheit aber war aufrichtiger als ich selbst, und so verhedderte ich mich in einen letzten schwächlichen Überredungsversuch, der Lala zur Heimkehr bewegen sollte. Ich hatte dabei nicht mit der Verfeinerung einer astromentalen Mädchenseele gerechnet, die gar nicht »betrogen« werden konnte wie ihre Schwestern im früheren oder späteren Altertum. (Und hier berühre ich einen wahrhaft respektablen Fortschritt im Verhältnis zwischen Mann und Frau, der andererseits wieder eine merkwürdige Verödung bedeutet, da er eine Menge von farbigen Roman- und Komödienthemen ausschließt.) Noch hatte ich nämlich kaum die ersten Worte meines Überredungsversuchs gesprochen, da legte Lala mit deutlicher Nervosität den Finger auf den Mund und schüttelte ein bißchen den Kopf, als habe sie Angst, ich werde im letzten Augenblick einen plumpen Fehler begehen, der alles verdürbe und mich herabsetzte für immer. Mit ihrer rechten Hand aber zeigte sie auf das Dorfkirchlein. Dorthin ging sie voraus, mit dem schwingenden, ewig ausgeruhten Schritt, den die Frau in der Welt des reinen Spiels gewonnen hatte.
    Im Portal flüsterte sie mir zu:
    »Ich habe Io-Efwe etwas zu zeigen …«
    Sie hatte mich zum erstenmal nicht mit dem kalt konventionellen »Seigneur« angeredet, wobei ich mich immer leicht verspottet fühlte, sondern mit den Lauten, die sie für meinen persönlichen Namen hielt, da mein Freund mich so nannte. Mir war bei dieser Anrede ganz merkwürdig zumute. Hatte Lala mich doch sogar noch unter der Flagge jenes »Seigneur« geküßt. Ich verstand, daß ich jetzt erst ein Mensch für sie geworden war, ein ehrlich Lebendiger und kein interessantes Phantom, mit dem man Staat in der Öffentlichkeit macht. Sie ließ mich fühlen, daß es jetzt erst echt und wahr zwischen uns zuging.
    Wir standen nun, was nicht nur ich, sondern auch

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