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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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denen diese zukünftige Erde bei meinem kurzen Besuche so voll war. Hätte man nicht vermutet, in einem Dschungel, der dem ehemaligen Mexiko so nahe lag, anstatt dieser hochgewachsenen, balkanartigen Bevölkerung, viel bräunlichere, jedoch kleine, träge, sanftäugige, plattnäsige Indianer oder Mestizen vorzufinden? Nein, so einfach war es nicht auf meiner Reise. Überall lauerte unerwartete Verwirrung. Auch die Gestaltgesetze, gemäß denen der Erdplanet seine Träume kreiert und wieder auslöscht, schienen mit den wechselnden Klimaten und den veränderten Bedingungen zu wandern. Vielleicht lebten jetzt im Dschungel des Sektors Balkan anstatt adlernasiger Skipetaren jene plattnäsigen Zapoteken, die man eher hier zu finden erwartet hätte. Da war gleich dieser General, der an dem Tisch saß, in eines der beiden Aktenstücke vertieft, und mich gleichsam mit Aplomb nicht beachtete. Ich kenne nicht seinen Namen. Für mich aber konnte er nur Konstantin heißen und nicht anders. Während meiner Militärzeit hatte ich dann und wann höheren Offizieren Meldungen zu überbringen gehabt, freilich nur in meinem niedrigeren Range als Sergeant. Es war aber stets mit erstaunlicher Monotonie die gleiche Situation gewesen. Der jeweilige General oder Oberst oder Oberstleutnant saß stets am Tisch in ein Aktenstück vertieft und beachtete mich nicht, der ich vor ihm stand, von meinem verkrampften Strammstehn mich hin und her geschüttelt fühlend, wie ein Mann, der in der ratternden Straßenbahn keinen Sitz gefunden hat. In gewissen Wiederholungen gleicht das Leben, ungeachtet der wechselnden Zeitläufte, den typologischen Inszenierungen zweitklassiger Filme. Der verdammte Regisseur kennt nichts als die Routine: General sitzt am Tisch und liest ein Aktenstück, während alles andere für ihn Luft ist. Selbst der chronosophische Lehrer, vor seinen Schuljungen mit dem Geographiezeigestock hin und her fuchtelnd, war solch eine ewige Routine, wie es mir gestern gleich zu Bewußtsein kam.
    General Konstantin mußte eine primitive Erscheinung genannt werden. Auf seinem quadratischen, ungegliederten und glänzenden Schädel gingen Zweimillimeter-Haarschnitt und Glatze unmerklich ineinander über. Die roten, etwas verkrüppelten Ohren standen ziemlich weit vom Kopf ab. Der violette, linierte Stiernacken steckte eingezwängt in einer Art von Blusenhemd. Hellblaue Augen unter sehr blonden Brauen, eine kurze Nase und der brutale Mund, der zu einem willensstarken Beruf gehört, enttäuschten das romantisch dürre, graumelierte Bild, das ich mir gemacht hatte, als ich das Wort General zum erstenmal hörte. Und um dich zu sehen, Konstantin, mußte ich nach hunderttausend Jahren aus dem Fegfeuer abberufen werden? Ich verstehe, daß die Geschichte der aus sumpfartigem Gebrodel entstandenen Dschungel und ihrer von Primitiven mit entsprungenen Astromentalen gezeugten Bevölkerung viel zu kurz war, um höher geartete Generale zu zeitigen. War es nicht schon genug, daß es überhaupt Generale gab? Diese Tatsache mag übrigens meine Leser mehr in Erstaunen setzen, als sie mich in diesem Extrazimmer des Brauhauses zum Mittelpunkt Wunder nahm. Daß man für die historische Stufe, die der Dschungel repräsentierte, Truppen und Offiziere halten mußte, war nur eine Selbstverständlichkeit für mich, weshalb ich das Wort General von Beginn an ohne Achselzucken hingenommen habe. Da es wiederum Hähne gab, warum sollte es keine Uniformierten geben, die vielleicht auf ihren Tschakos Hahnenfedern trugen? Ich fand es auch weiter nicht erstaunlich, daß die obersten Chargen unter diesen Uniformierten sich alsogleich der taubengrauen Bräute versichert hatten, die im Laufe der letzten Nacht zu Dutzenden in den Dschungel durchgebrannt waren. Was ich aber ganz und gar nicht verwinden konnte, war Lalas schlechter Geschmack. Dieser rüde Bursche Konstantin, nichts als ein Wirbel von Mannsmuskel und Mannsmacht alten Stils, kommandierte die herrlichste der astromentalen Bräute, und sie gehorchte. Welche Feinheit des Gefühls und des Verstehens hatte Lala mir gestern beim Freitanz im Park des Arbeiters gezeigt, als ich sie nicht ohne Handschuhe berühren wollte. Vor einigen Stunden noch war sie in meinen Armen gelegen, keusch wie ein Hauch, und ich, unwürdig ihrer Schwerlosigkeit, habe ihren Kuß nicht zu ertragen geglaubt. Konstantin aber wird sie küssen, wie man eine Kellnerin küßt oder sonst eines der Dschungelweiber beim Manöver. Und das Schlimmste, er wird

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