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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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ist das, was ist das«, stöhnte B. H. neben mir.
    »Das ist möglicherweise unsere Zukunft«, sagte ich.
    »Nein, nein«, schrie er auf, »ich will ein Kindchen werden, aber nicht das.«
    »Kannst du’s verhindern, B. H.? Das ist das Risiko der Rückentwicklung, gegen das es keine Assekuranz gibt. Das sind die mißlungenen Fälle, – um die zu erkennen, brauchen wir keinen Animator. Ob’s die Kataboliten sind, kann ich dir freilich nicht sagen …«
    »Und dieses Zoten und Schweinigeln …«
    »Man kann sich’s nur so erklären«, erwog ich, »daß der seelische Dreck, der sich in hundertachtzig astromentalen Kulturjahren angesammelt hat, endlich herausmuß. Es ist die Rückseite des feinen Benehmens und der eleganten Menschlichkeit …«
    »Oh, F. W., ich will nicht, ich will nicht. Warum bin ich so schwach?«
    Ich schloß den Freund in meine Arme. Es war wie ein brüderlicher Schwur, alles zu tun, um ihn und mich zu retten.
    In diesem Augenblick wurde das Zorngeschnatter der Rübengreise zu einem einzigen Schrei, den unsre Gegenwart hervorrief. In diesem Schrei aber unterschied ich zu meinen Füßen immer öfter ein krächzendes Wort. Und das Wort hieß »Seigneur«. Ich beugte mich rasch zu einer der Pflanzen nieder und zog niemanden andern aus der Erde als den Wortführer des Hauses Io-Fagòr, den voltaire-ähnlichen Beherrscher der astromentalen Causerie, dem dieses Pech widerfahren war, anstatt zum Embryo in wenigen Stunden zum Rübenmännchen zu werden. Ich hielt das Rübenmännchen um die Hüfte gefaßt, voll Ekel. Keine Spur von Rübe. Es war nacktes, fieberndes Menschenfleisch, bei aller Kleinheit. Das große schwarze Mundloch geiferte. Speichel und Tränen rannen in den Zausbart und tropften auf meine Hand. An folgende Worte, aus enger Kehle geschrillt, erinnere ich mich: »Das bin ich, Seigneur, Sie sollen mich sehen, Sie sollen mich riechen. Ich bin betrogen, ein Leben lang betrogen. Und über die Idee des Wintergartens habe ich meine schönsten Causerien gehalten. Ich möchte Ihnen Worte zurufen, die ich nicht einmal als Philologe gekannt habe: Nachtkacke, Eiterbrunz und Sterbeschleim. Kein Seigneur bist du, sondern ein gottverstunkenes Ödem, Krebs, Tumor … Geben Sie mich zurück, zurück …«
    »Geben Sie ihn mir«, sagte der Animator, der unversehens neben uns stand, nahm mir das Rübenmännchen aus der Hand und pflanzte es wieder an seine Stelle ein, wo der Wortführer in das gewaltige Zorngeschnatter der tausend andern mißlungenen Fälle neuerdings einstimmte. Nachdem er behutsam die Erde um den eingeschrumpften Causeur aufgehäuft hatte, erhob er sich und sah mich an:
    »Sie haben nicht mir geschadet«, sagte er, »sondern sich selbst.«
    »Womit habe ich mir geschadet?« fragte ich trotzig.
    »Je mehr Sie Sich hineinverwickeln, um so tiefer verfallen Sie. Wer Verbotenes sieht, gehört schon zu dem Verbotenen. Ich trockne meine Hände in Unschuld …«
    »Sind das die Kataboliten, Animator?«
    »Nein. Aber nachdem Sie so unzuverlässig gehandelt haben, werden Sie auch die Kataboliten zu sehen bekommen.«
    »Warum lassen Sie diese Zerrbilder Gottes erbarmungslos leiden?« schrie ich und stampfte auf.
    »Weil einige unter ihnen noch eine Chance haben«, lispelte er scharf. »Es wird sich zeigen. Dann bekommen sie ihre Schlummerdouche …«
    »Wie ist so etwas nur möglich«, ergrimmte ich. »Wie kann es die Verfassung nur zulassen, daß der berühmte freiwillige Weg angetreten wird, ohne daß man die Freiwilligen von den furchtbaren Möglichkeiten unterrichtet, die ihnen bevorstehen? In Dunkel ist die Welt gehüllt. Und Ihr verdichtet das Dunkel. Ich verstehe jetzt Io-Joels Haß …«
    »Die Risken haben mit der Verfassung nichts zu tun«, sagte der Animator, »sie liegen im einzelnen Individuum. Wir sind nicht schuldig. Das Individuum ist schuldig …«
    »Was wollen Sie von den armen Individuen«, schrie ich außer mir, »Sie gehen nur in die Falle …«
    »Haben Sie die Aufschrift nicht gelesen, Seigneur, das Wort des großen Weisen: ›Das, was du bist, ist schon Strafe oder Lohn für das, was du bist‹ …«
    »Ich protestiere! Das Mißlingen der Rückentwicklung kann nur auf die Ungeschicklichkeit der Funktionäre zurückzuführen sein. Warum sollte sonst ein Individuum zur braven Marguerite werden und das andere zur teuflischen Rübe? Die meisten Individuen sind doch nur Typen …«
    Den letzten Satz sprach ich schon mit schlechtem Gewissen und gab daher dem Animator

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