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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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führte, machte ich halt, um die andern in voller Frische zu erwarten. Es war ein wohltätiger Spaß für mich, den Animator und seine beiden Hilfskolosse bleich und atemlos heranschwanken und vorantorkeln zu sehen.
    »Das ist nicht rätlich, Seigneur, gar nicht rätlich«, ächzte der Kleine, »bei Ihrem Herzen …«
    »Sie vergessen, cher Maitre«, lachte ich, »daß ich ein wüster Barbar bin, dem es gar nichts ausmacht, wenn sein Herz plötzlich zu schlagen aufhört … Ich bin nicht so wehleidig und fürchte den Tod viel weniger als Ihre werten astromentalen Zeitgenossen …«
    »Nicht einmal in den Mund nehmen dürfte ein Kulturmensch solch ein nacktes und unanständiges Wort wie das mit T. Das Herz soll aufhören zu schlagen, wenn man wieder dreimal sieben Tage alt geworden ist … Ein bißchen neue Herzstärkung gefällig, Seigneur?«
    »Her damit! Und ein tüchtiger Schluck diesmal …«
    Der Animator sah mich staunend an, denn ich trank prahlerisch aus dem Kruge, der noch immer nicht leer war.
    »Vergeben Sie mir noch einmal meine nackte Ausdrucksweise, cher Maitre«, sagte ich, nachdem ich den Krug zurückgegeben hatte und wieder stramm ausschritt. »Was würde mit mir geschehen, wenn ich tot hinfiele?«
    »Gar nichts Schönes würde geschehen mit Ihnen«, klagte er. »Man würde Sie zu den Kataboliten bringen …«
    »Herrgott noch einmal, was ist das schon wieder, diese Kataboliten?«
    »Seien Sie glücklich, Seigneur, daß Sie es nie erfahren werden, was das schon wieder ist, diese Kataboliten.«
    »Ich aber habe den festen Wunsch, ja die unbeugsame Absicht, gerade das zu erfahren.«
    »Bedaure, Seigneur, die Verfassung verbietet es.«
    »Im Djebel hat man mir nichts vorenthalten, nicht einmal die obersten Welträtsel und den wichtigsten Augenblick meines Lebens«, sagte ich. Damit aber hatte ich eine wunde Stelle im Herzen des Animators berührt:
    »Im Djebel hat man’s gut«, brauste er auf. »Im Djebel ist man vornehm. Im Djebel wird nicht einmal geforscht, sondern ›ziellose Weisheit‹ betrieben. Die Chronosophie ist ausgepichter Selbstgenuß. Sie befahren die kosmischen Räume nur zu dem Zwecke, um über ihr albernes Staunen zu staunen und stolz darauf zu sein, wenn sie sich bis zum Erbrechen fremdfühlen. Und was sind das schon für gelöste Welträtsel? Das Universum ist mit sich selbst verheiratet. Schon die Bibel erzählt, daß Eva als Rippe im Adam steckt. Wir hier unten im Mutterschoß sind nicht halb so fein. Wir führen nur Gutes im Schilde. Wir dienen der Menschheit. Wir forschen nicht ziellos, sondern mit bestimmten nützlichen Zwecken. Wir treiben angewandte Wissenschaft. Wir nehmen es auf uns, praktisch zu sein, praktisch, praktisch …«
    »Und doch besteh’ ich auf den Kataboliten«, erklärte ich trocken.
    »Die Vorschriften gelten auch für Sie, Seigneur. Ich kann nichts dagegen tun …«
    Wir hatten eines der Margueritenfelder durchquert. Die Toten dufteten sonderbar leimig, fad an Kamillen erinnernd. Nun bekamen wir den breiten Weg unter die Füße, der entlang der Grenzmauer lief. Es war eine völlig glatte, recht hohe Mauer, aus einer Art von translucenter Plastik errichtet, wie man sie schon zu meiner Zeit gekannt hatte. Ich glaube, daß nicht einmal Io-Knirps, der Sternentänzer, die Gewandtheit besessen hätte, diese Mauer zu überklettern. Inzwischen hatte der Animator eine neue Taktik ersonnen, um es zu verhindern, daß ich wieder einmal ein strackes Tempo anschlage und damit seine und seiner Leute Körperkräfte in Verlegenheit bringe. An der Tete unseres Häufleins marschierten nun gemächlich die Badediener, mit ihren schlappen Fettrücken den Weg versperrend. Dann kam er selbst, der Führer unserer Besichtigung, knieweich schlendernd. Den Schluß aber bildeten wir, B. H. und ich.
    Diese neue Marschformation jedoch sollte sich zu meinen Gunsten auswirken. Ich begann zu schleichen, mit ganz kurzen Schritten, so daß sich der Abstand zwischen mir und dem Animator immer vergrößerte. Zu meiner Freude nämlich hatte ich in der Grenzmauer eine Art von Abflußkanal oder vergittertem Schlupfloch entdeckt. Ich mußte dafür meinen astigmatischen Augen danken, die in der Not noch niemals schlecht funktioniert hatten. Es war in jedem Fall wichtig, diesen Punkt zu markieren. Ich folgte nur den alten Mythen und Märchen, als ich mich jetzt schnell am Feldrand hinkniete und mit dem roten Garn des Mädchens vom Ammenhügel ein ganzes Büschel der blühenden Margueriten

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