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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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aus.«
    »Was strahlen Ihre Frauen aus?«
    »Schönheit, Ruhe und schlichte Vernunft … Ich führe Sie selbst in die Unterkunft …«
    »Nein, Herr Arbeiter«, sagte ich. »Es ist sehr verlockend. Aber ich danke, ich danke tausendmal. Ich möchte etwas anderes …«
    »Ich verstehe dich nicht, F. W.«, schüttelte B. H. den Kopf.
    »Wir sind nicht krank, weder mein Freund B. H. noch ich, obwohl wir im Uterus terrae gar manche Schwierigkeiten bestanden haben. Dennoch sind wir nicht hospitalsbedürftig. Es gibt zwar für mich nichts Herrlicheres, als von ausstrahlenden jungen Frauen angestrahlt zu werden, und noch dazu mit Schönheit, Ruhe und schlichter Vernunft. Aber ich darf mir’s nicht leisten, denn etwas anderes ruft mich unaufhörlich. Ich bitte den Herrn Arbeiter dieses Zeitalters um einen kleinen Dienst. Bitte drücken Sie uns beide an Ihre blaubeschürzte Brust, wie Sie mich schon einmal an sich gedrückt haben. Das hat mir so wohl getan …«
    »Kleiner, Kleiner, du bist schlau«, reimselte der Arbeiter lachend, »du verschmähst die Pflege durch die Frau und verlangst an ihrer Statt die Kraft, die ich, der Arbeitsmann zu bieten hat … (O pfui Teufel, auch mit den Reimen hapert’s um Mitternacht) … Na, kommt her …«
    Er packte mich mit seinem linken und B. H. mit seinem rechten Arm und preßte uns beide mit gewaltigem Druck an sich. Dabei hörten wir in seinem Bergesinnern das goldne kollernde Brummen oder Lachen, das er nicht entließ, wie eine verborgene Quelle. Sofort strömte in mich jenes unsagbare Weltbehagen ein, das ich schon kannte. Ich begann ganz langsam und tief zu atmen. Mit einem innern Frieden sondergleichen blickte ich auf die riesige Menschenmenge vor mir, die aus den Siegern in Berglerjacken bestand und aus den Besiegten in zartgefärbten Schleierraffungen. Ich fühlte, wie die Müdigkeit an mir herunterfiel gleich etwas Abgetragenem. Noch zwei Minuten dieser Vitalstrom, dachte ich beglückt, dann wird es vorhalten. Zugleich aber war ich der Beglückung nicht ganz gewachsen mehr und brach in ein krampfhaftes Schluchzen aus. Ich erinnere mich genau, daß es meinem Freunde nicht anders ging.
    Wir standen irgendwo auf dem eisengrauen Rasen, B. H. und ich, ganz allein, ähnlich wie bei unserer ersten Begegnung. Der Park des Arbeiters lag hinter uns. Beide waren wir erfrischt und gekräftigt, sowohl durch seine lebensteigernde Körperberührung als auch durch Suppe und Ziegenkäse, die er uns hatte reichen lassen. Nun mußten wir uns schlüssig werden. Das heißt, ich mußte mir gar nicht schlüssig werden. Ich kannte genau mein nächstes Ziel. »Warum hast du das Angebot des Arbeiters nicht angenommen?« sagte B. H., und ich fühlte, daß er etwas auf dem Herzen hatte, vermutlich einen Groll gegen mich.
    »Die Worte Hospital und Lazarett haben mich gestört, lieber alter Freund«, versetzte ich, »trotz der ausstrahlenden Damen des Arbeitsmannes. Ich würde lieber hier im Freien schlafen als im astromentalen Spitalsbett …«
    »Wir werden auch im Freien schlafen
müssen,
F. W., denn ich habe nicht das Herz, in Io-Fagòrs leeres Haus zurückzukehren. Und eine eigene Wohnung besitze ich nicht …«
    »Haben wir uns das Schlafen nicht schon abgewöhnt, B. H.? Ich bin alert und munter …«
    »Nicht ich habe vom Schlafen gesprochen, sondern du …«
    »Reden wir nicht herum, B. H. Etwas bedrückt dich. Was bedrückt dich?«
    »Ich habe ein schlechtes Vorgefühl …«
    »Ein schlechtes Vorgefühl? In bezug auf was?«
    B. H. gab keine Antwort. Ich mußte noch einmal fragen:
    »Ein schlechtes Vorgefühl? In bezug auf dich?«
    »Dann würde ich den Mund nicht aufmachen …«
    »Also in bezug auf mich?«
    »Stimmt! In bezug auf dich, F. W.«
    »Na hör einmal, B. H.! Habe ich mich im Wintergarten nicht ziemlich gut gehalten? Bei aller Eigenliebe, ich breche unter Nichtachtung zusammen, aber Gefahren lassen mich kalt, ich bin stolz, phantasielos zu sein.«
    B. H. setzte sich auf den eisengrauen Rasen und zog mich an seine Seite nieder, so saß ich das erste Mal auf dieser weltumspannenden Pflanzung und sah in den dicht-unbekannten Nachthimmel empor. Es war ein ganz eigenartiges Gefühl, auf diesem Nerven-Gras zu sitzen, das trocken war wie Papier und zähe unzerreißbar wie Bast.
    »Du hast dich nicht nur ziemlich gut gehalten, F. W.«, begann der Wiedergeborene, »sondern du hast dich durch Willenskraft ausgezeichnet und uns beide gerettet. Ich bin dir nicht nur

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