Stern der Ungeborenen
Revanche schuldig, sondern fühle mich tief beschämt, daß ich als Einheimischer versagt habe …«
»Gerade als Einheimischer mußtest du ja versagen, was übrigens ein falsches Wort ist, da du von Anfang an zur Retrogenese völlig bereit warst …«
»Und ich frage mich, F. W., ob es nicht besser und würdiger gewesen wäre … trotz aller Risiken, wie Rübenmännchen, Kataboliten, Mnemodrom u.s.w. …«
»Ich verstehe dich nicht, B. H. Hat nicht auch dich das Grauen geschüttelt? …«
»Du kannst mich nicht verstehen, F. W. …. Du hast nicht das richtige Bild vom Wintergarten empfangen, schon durch deinen Widerstand nicht, und so ging’s auch mir unter deinem Einfluß …«
Ich stieß in B. H. auf eine ähnliche Gesinnung wie bei Io-Fagòr. Die Überwindung des Sterbens durch Retrogenese war das heilige Tabu aller astromental Erzogenen.
»Es mag sein, alter Freund«, sagte ich nach einer Weile, »daß ich dem Wintergarten nicht gewachsen war, daß der gekränkte Primitivismus in mir alles Schlechte angezogen und entlarvt hat. Du darfst nicht vergessen, für mich und für meinesgleichen war der Tod die heilige Ordnung Gottes, an welcher der Mensch nicht herumzustümpern hat … Ich verkleinere nicht Idee und Praxis eures Sterbe-Umwegs oder Fortschritts, aber die Blasphemie darin läßt sich so wenig ableugnen wie das Abstruse und Gezwungene …«
»Du berührst genau den Punkt, F. W., auf den es ankommt. Der Mensch hat immer dazu geneigt, schlechte Gewohnheiten für heilige Ordnungen zu erklären. Eine dieser schlechten Gewohnheiten ist die passive Hinnahme des Sterbens. Kannst du mir aber abstreiten, daß die ganze Menschheitsgeschichte ein hartnäckiger Versuch ist, die Machtbefugnisse Gottes zu verkleinern und immer mehr davon unter eigene Kontrolle zu bekommen?«
»So ist es«, entgegnete ich friedfertig, »doch darüber mußt du den Großbischof hören.«
»Ich wollte ja nur sagen –« begann B. H., vollendete aber seinen Satz nicht.
»Und dein schlechtes Vorgefühl«, lächelte ich, »hängt es mit meiner reaktionären Widerspenstigkeit zusammen?«
»Ganz im Gegenteil«, fiel er lebhaft ein. »Mein schlechtes Vorgefühl hängt mit deiner fabelhaften Anpassungsfähigkeit zusammen, mein Lieber.«
»Enttäuscht von mir, B. H.?«
»Enttäuscht? Beim Himmel nein, F. W. Ich hab mir’s nur anders vorgestellt, als ich dich aus unendlicher Ferne herzitierte. Ich habe geglaubt, du würdest als ein mildes Eidolon, als ein leuchtender Schemen ein wenig unser Leben teilen und dich umtun und die Welt beobachten. Aber du kamst aus deiner Absenz, mit Leben geladen, mit Wirbeln von Willen und Wirklichkeiten. Deshalb habe ich Angst um dich. Bedenke nur, was du alles leisten mußtest. Du bist Umpire gewesen in der größten Streitfrage aller Zeiten. Du hast kometengeturnt wie nur einer, du warst mit dem Hochschwebenden auf du und du. Man hat dich im Dschungel zum Unterhändler gemacht. Im Wintergarten hast du als Widerspenstiger zehn Stunden lang um unser Leben gekämpft, während ich an dir hing wie eine tödliche Last. Und dann die große Wendeltreppe zu allem noch. Wohin soll das führen? Es muß ein böses Ende nehmen …«
»Warum muß es ein böses Ende nehmen?«
»Weil du dich zu sehr ausdehnst, F. W., über alle menschlich erlaubten Grenzen. Das ist vielleicht das gefährlichste Laster, das es gibt. Die Tugend zieht sich keusch zusammen. Deshalb ist Konzentration, Tugend und Gesundheit ein und dasselbe. Das Laster aber greift nach allem und will alles ›verichen‹. Die Ausschweifung in dir schlägt jeden Rekord. Du willst in deiner kleinen Existenz die unverbindbarsten Gegensätze verbinden. Das wird am Schluß eine schöne Bescherung geben. Und ich Unglücksmensch trage die ganze Verantwortung …«
»Was für Bescherung?«
»Und wenn du krank wirst … Bei dieser unersättlichen Ausschweifung deines richtungslosen Willens mußt du krank werden …«
»Soll ich mich deshalb schon vorher ins Spital legen und von den Arbeiterfrauen anstrahlen lassen? Wäre das nicht auch eine Ausschweifung?«
»Hör meinen Vorschlag, F. W. Ich bringe dich in die nächste Karawanserei. Du legst dich hin. Ich bleibe bei dir und wache, damit nichts passiert …«
»Du bist ein guter Freund, B. H., ich weiß es. Der Vorschlag aber wird abgelehnt. Ich höre in mir einen Ruf, der unablässig ruft. Es ist zweifellos ein mentaler Anruf. So weit bin ich schon verdorben. Ich werde vom Djebel
Weitere Kostenlose Bücher