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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Mühseligen und Beladenen auch waren, so gut gefüttert und wohlbekleidet durch die siderale Konfektion des Arbeiters, es half nichts, sie blieben, in einer transökonomischen und transsozialen Welt ohne Notstand, dieselben Mühseligen und Beladenen wie eh und je, denn der Mensch lebt bekanntlich nicht von Brot allein, sondern auch noch von der Befriedigung seines durchs Leben erniedrigten Hochmuts. Es muß nicht erst betont werden, daß die Mühseligen und Beladenen der Ehemaligen Unterstadt die revolutionären Schichten der astromentalen Zivilisation bildeten und daß heute im Bezirk der beiden Torruinen Freude und Jubel herrschte, nicht etwa, weil das Leben besser zu werden versprach, sondern weil die Herrschaft der Hochnäsigen gebrochen zu sein schien. Es hatten sich übrigens ganze Scharen von Dschungelleuten hier eingefunden, Männer und Frauen, zum Teil in ihren Bauernjankern mit schimmernden Silberknöpfen, roten Zipfelmützen und Glöcklein an den Schnauzbärten. Diese Bauern aber benahmen sich still, vorsichtig, ja ein wenig gedrückt, während die Stadtbevölkerung sich nicht genug tun konnte an Hochrufen und Fraternisieren. Es war sogar offensichtlich, daß diese astromentale Plebs in einem sonderbaren Snobismus vor den gehaltenen Dschungelleuten kroch. Es muß zum vollen Verständnis hinzugefügt werden, daß die Bergstädter nicht mit leeren Händen gekommen waren, sondern viele Fässer ihres braunen Bieres mitgebracht hatten, welches die Astromentalen, die dergleichen nie kennengelernt hatten, in Rausch und Taumel versetzte. Eine reizende historische Umkehrung übrigens: Die Rothäute korrumpieren die Bleichgesichter durch Feuerwasser. Die Bergstädter hingegen hatten eine ziemliche Menge von Reisegeduldspielen erobert und vergnügten sich damit, wie die Wilden ihren Aufenthalt zu wechseln. Daß die Zusammenstimmer so tadellos ihre Pflicht erfüllten, gehört für mich zu den großen Geheimnissen dieses Kriegs und Umsturzes. Aber auch dies war nicht neu für mich, denn ich hatte in ähnlichen Fällen schon erlebt, daß gewisse Grunddiktate des Lebens trotz allem weiter im Gang bleiben.
    Auffälliger als alles andere war, daß die Leute Kampfeuer angezündet hatten, um die sie herumsaßen. Ich wiederhole, sie saßen, was sie noch vor zwölf Stunden nicht gewagt hätten, in der Öffentlichkeit zumindest. Sitzen war nach Io-Joels eigenen Worten eine »reaktionäre Haltung«. Ich hatte B. H. unterm Arm gefaßt. Wir bummelten langsam dahin, nach der Bruthitze des Wintergartens die göttlich frische Nachtluft genießend.
    »Erinnerst du dich, B. H.«, fragte ich, »an den bekannten Ausspruch Lenins: ›Revolutionen sind Lokomotiven der Weltgeschichte‹? Lokomotiven fahren vorwärts und rückwärts. Diese hier scheint rückwärts zu fahren …«
    »Was willst du«, erwiderte mein Freund weise, »sie fährt …«
    Warum soll im gekrümmten Raum nur der Mensch eine gerade Richtung haben? Diese Frage wollte ich noch stellen, unterließ es aber, da wir an der Mauerpforte vorübergingen, die zu König Sauls Haus führte. Auf einem metallenen Schild stand zu lesen: »Io-Saul Minjonman, offizieller Jude dieses Zeitalters.« Darunter war ein Papier mit zwei schön gemalten Worten befestigt: »Auf Wanderung.«
    »Ich möchte wetten«, lachte ich, »daß Minjonman sich nicht auf Wanderung befindet, sondern in seiner hermetisch verschlossenen Antiquitätenkammer sitzt. Dort weiß er nicht, ob er seinen Goldsohn verfluchen oder segnen soll, weil wieder einmal diese schreckliche Neuerung über die Welt gekommen ist, wo man sich doch kaum an die vorletzte Neuerung gewöhnt hatte …«
    »Da magst du recht haben«, nickte B. H.
    »Ich weiß, daß ich recht habe. König Saul ist gerade noch beschäftigt damit, sich abzusondern …«
    »Was aber geschieht mit uns. F. W.«, seufzte B. H. tief auf.
    »Du bist der Reisemarschall«, sagte ich boshaft, während ich einen geheimen Wunsch unterdrückte, der nach dem Dschungel gerichtet war, Lalas wegen.
    »Laß uns den Park des Arbeiters aufsuchen«, riet B. H. »Dort restauriert man am sichersten seine Kräfte.«
    Auch der Park des Arbeiters war überflutet von riesigen Menschenmengen. Von ferne schon grüßte folgende Leuchtschrift, die in der Luft stand: »Der Arbeiter dieses Zeitalters wird in Streik treten, wenn bis zwölf h.p.m. die Geschütze auf beiden Seiten nicht schweigen.« Diese Drohung mochte von entscheidender Bedeutung gewesen sein. Ohne Zweifel richtete

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