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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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sie sich viel schärfer gegen die Verschwörer und Waffensammler als gegen die Artilleriegeneräle des Dschungels, und das, wie man mir sicher zugeben wird, mit Recht. (Schließlich war der Arbeiter ein Arbeiter und stand daher gefühlsmäßig auf Seiten der Verachteten.) Dabei aber wußte er das Prinzip der Neutralität ausgezeichnet zu wahren, indem er beide Parteien mit Streik bedrohte. Freilich, die Dschungelleute lebten von den Früchten der Erde und waren daher unabhängig von der Sternnahrung der Täler der Quellen und Kräfte, während die Astromentalen, bar aller Landwirtschaft, ohne diese Nahrung vom Hungertode bedroht wurden. Die Streikdrohung des Arbeiters hatte im übrigen ihre Absicht voll erfüllt. Nachdem die Fernschattenzertrümmerer und Existenznegatoren der Verschwörer in den Dschungeln mehr oder weniger großen Schaden angerichtet und einige tausend Menschen in Nichts aufgelöst hatten, stellten sie ihr Feuer ein, schon deshalb, weil das Erhoffte nicht geschah und sie für ihren Putsch unter den astromentalen Mitbürgern keine Begeisterung und Gefolgschaft fanden, sondern nur Entsetzen und Zorn. Niemals in der ganzen Weltgeschichte war eine Kultur dümmer und leichtsinniger in die Luft gesprengt worden; (das heißt wird in die Luft gesprengt werden). Die verschiedenen Konstantine hatten hingegen schon lange vor Sonnenuntergang ihr Ziel erreicht. Heulen und Zähneklappern herrschte unter den Hausgästen in den Nachbarschaften der Panopolis, und es gab nicht Hilfsstellen genug, um die von den Depressionsgeschossen Verwundeten aufzunehmen. Die Kapitulation wurde zu Beginn der ersten Nachtwache unterzeichnet, und zwar von dem Unglücklichen, der provisorisch an die Stelle des letzten Seleniazusen getreten war; selbstverständlich ohne Namen unterzeichnet und nur mit einem Kennwort. Der Hauptartikel bestand aus einem kurzen Satz: »Die Grenzen zwischen der astromentalen Wohnwüste und den farbenfrohen Oasen sind aufgehoben.« Man sieht, mit einem Schlage hatte sich alles verkehrt. Die Dschungel waren mit gutem Grund zu »farbenfrohen Oasen« avanciert. Und diese Oasen nannten, von ihrer Perspektive aus, aus ebensolch guten Gründen die Stätte einer beinahe übermenschlich verinnerlichten Kultur »astromentale Wohnwüste«.
    All diese Ereignisse erfuhren wir von gleichsam fiebernden Menschen, die in ihrer Erregung kaum mehr bemerkten, daß ich ein Zeitfremder in einem unbekannten Gewande war. (Die Mönche hatten uns beim Abschied die Kutten abgenommen.)
    Soweit der Verlauf dieses kurzen Krieges, wenn man ihn überhaupt Krieg nennen kann, obwohl er Opfer genug gekostet hatte. Aber wir erfuhren noch etwas, was mir unbegreiflich war und mich mit Abscheu erfüllte. Ein Teil der Putschisten war gefallen, der größere Teil hatte sich ergeben. Da waren aber noch einige Helden oder Durchhalter oder Tückebolde, die sich an schwerzugänglichen Stellen, die kein Ziel boten, mit ihren Fernsubstanzzertrümmerern verschanzt hatten. Sie richteten diese verderbenbringenden Röhrchen aber nicht, wie man meinen sollte, gegen die sogenannten Oasen, sondern – und hier bekommt die Vernunft einen Schwindelanfall – sie suchten das Größte und Beste zu vernichten, was ihre eigene Welt hervorgebracht hatte, zu deren Gunsten sie zu kämpfen vorgaben. Mit einem Wort, es war der Djebel, gegen den ihre letzte Zerstörungswut entbrannt war und, wie wir vernahmen, mit Erfolg. Man könnte vielleicht meinen, daß diese Patrioten das Palladium nicht in die Hände des Feindes fallen lassen wollten. Nein, nein, das war’s nicht. Ich weiß es besser, mein Wort darauf. Die Io-Dos haßten vielleicht den Djebel noch tiefer als die Dschungeln. Die schmähliche Niederlage entblößte ihren tiefen Haß. So versuche ich mir das Ungeheuerliche zu erklären, das mich schaudern machte und mit Schmerz erfüllte.
    Ich rechne es mir zur hohen Ehre an, daß wir in dieser Stunde vor das Antlitz des Arbeiters geführt wurden, der nicht wußte, wo ihm der Kopf stand, da ja auf seinen Schultern die ganze Sorge für die wankende Kulturmenschheit lag. Wem wir diese Auszeichnung zu verdanken hatten, weiß ich nicht. Keinesfalls aber war es die violette Handgelenkschleife. Sie hatte ihren Wert verloren wie der Orden, der an meiner Brust steckte. Es schien mein Schicksal zu sein, daß nur untergehende Regierungen mir ihre Insignien schenkten. Dennoch tat ich weder diese noch jenen von mir.
    Sämtliche Brüder, Söhne, Enkel, Urenkel des Arbeiterclans

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