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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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gemacht worden seien. Mich aber weckte erst der erschütternde Schrei des Lehrers: »Hier ist er …«
    Als ich hinsah, war der Knabe noch in dichten Qualm gehüllt. Ich glaubte sogar, kleine Flammen zu bemerken, die der Lehrer mit seinem eigenen Körper zu ersticken suchte. Es wird mir für immer ein Rätsel bleiben, warum das Raumtauchergewand, das der Sternentänzer trug und das kosmischen Gluten spielend standhielt, gegen einen irdischen Brand keinen vollen Schutz geboten hatte. Nur die Kopfkugel war unversehrt. Der raumdichte Stoff hingegen hing in Fetzen, die der Lehrer seinem Lieblingsschüler vom Leibe riß. Es gibt nur eine Erklärung: das leichtsinnige Kind, an Extravaganzen im Intermundium gewöhnt und daher die Gefahr verachtend, schien das Tauchergewand nicht hermetisch verschlossen zu haben. Der grazile Körper war über und über mit schweren Brandwunden bedeckt. Io-Knirps sah stolz zu den Fremdfühlern hin, machte eine Schuljungenverbeugung, wollte sprechen und brach ohnmächtig zusammen. Seiner rechten brandwunden Hand entfiel das Isochronion, diese Metallkapsel, in welcher die Zukunft des menschlichen Geists steckte, der Preis seines Opfers …

Sechsundzwanzigstes Kapitel
    Worin ich aus dem Munde des Großbischofs die andere Hälfte der Wahrheit erfahre und eine ganz unerwartete Gelegenheit zur Rückkehr bekomme.
    Ich weiß nicht, warum man gerade mir den schnellatmenden, in nasse weiße Schleier gewickelten Knaben in die Arme gelegt hatte. Ich trug ihn, so schwer er war. Und ich trug ihn schnellen Schrittes, während mir Hunderte in hellen Haufen folgten. Ich weiß noch, daß sich unter meiner Gefolgschaft auch Dschungelbauern in beträchtlicher Zahl befanden. Dicht an meiner Seite aber schritt der gramgebeugte Lehrer, mich zur Eile mahnend. Der astromentale Aberglaube, daß von mir irgendwelche urtümlichen Kraftströme ausgingen, mochte der Grund sein, daß man mir Io-Knirps zu tragen gab. Eine unbeschreibliche Mischung von Schmerz und Verlegenheit war in mir, wenn ich auf sein rundes, fiebergerötetes Gesicht sah, das die Augen geschlossen hielt.
    Wir eilten durch eine der Torruinen der »Ehemaligen Unterstadt«, denn unser Ziel war König Sauls Haus. Daß der jeweilige Jude des Zeitalters ein ärztlicher Tausendkünstler war, der die Fähigkeiten und Kenntnisse der Schulmedizin weit übertraf, das wußte jedes Kind. Die Schulmedizin oder Leibesgärtnerei (weil meist vorbeugender Pflege und Wartung gewidmet) hatte in einer Epoche der Hundertachtzigjährigen, in der es kaum mehr Krankheiten und am Ende des Lebens nur den freiwilligen Weg zum Wintergarten gab, ihren Rang und ihr Ansehn verloren. Ihr widmeten sich zumeist subalterne Typen, den Badedienern des Wintergartens ähnlich, die in der allgemeinen Schätzung nicht gerade hoch standen. In einem ernsteren Fall, der selten genug vorkam, brachte man den Kranken oder Verletzten zum Arbeiter oder holte (was man meist geheim hielt) einen der Animatoren ans Tageslicht. Das höchste Vertrauen auf diesem Gebiete aber ward Saul Minjonman und den andern Minjonmännern zusamt ihren Söhnen und Enkeln zuteil, soweit diese ernst, scheu und weich waren, also nicht wie Io-Joel. Das konnte nicht wundernehmen, besaß Minjonman doch die älteste und stetigste Erfahrung des menschlichen Leidens und, mehr als sie, die älteste und stetigste Aufmerksamkeit, die mit gerührter Identifikation auf dieses Leiden gerichtet war. Der Lehrer zum Beispiel glaubte fest, daß Minjonman über Zauberkräfte und Mittel verfügen müsse. Es war für mich erschütternd zu sehen, wie Chronosophen, die geistig und wissensmäßig so hoch über mir standen, angesichts des Leidens und des Todes sich in hilflose Kinder verwandelten.
    »Schneller, Seigneur, schneller«, hetzte er. »Der Io-Saul, der hat alles. Der wird ihn eins, zwei, drei herausreißen …«
    König Saul hatte nicht nur die Tafel »Auf Wanderschaft« von seiner Gartenpforte fortgenommen, sondern er erwartete uns vor ihr tief traurig und feierlich. Er hatte alles vorausgesehn, nein, er hatte es gesehen. Ich wiederhole hier aus Angst vor Verwechslungen zum Überdruß, daß es sich bei dieser Art von Sehen nicht um irgendwelche plumpe Television des Altertums handelte, sondern um die längst erworbene Fähigkeit des astromentalen Bewußtseins, sich mit entfernten Bildern und Ereignissen in empfangenden Kontakt zu setzen. Insofern mochte die astromentale Zivilisation schon die logische Vorstufe einer noch höher

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