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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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wiederkommt, wird ein anderer gehen und wiederkommen, und wenn der nicht wiederkommt, so ein nächster … Aber eine von den kleinen Eidechsen muß wiederkommen und es heraufbringen …«
    Die grauen Adler im Kreis nickten schwach mit den Köpfen, die zwischen ihren Schultern steckten.
    »Ich weiß, daß ich ein Nichts bin«, jammerte der Lehrer, »weniger als ein Nichts, denn ich habe es nicht einmal zur Sternwanderschaft gebracht und pendle seit einem Jahrhundert zwischen den faden Planeten herum. Aber eines bin ich mit Leib und Seele, ein Jugendbildner. Und als ein Jugendbildner wage ich die hohen Befahrer der Sternnebel zu befragen: Warum kommt der Hochschwebende nicht selbst herauf und bringt es mit? Warum muß ein kindliches Leben geopfert werden, und zwar ein Leben, das selbst zum Amte des Hochschwebenden bestimmt sein mag?«
    Auf diese mit tremolierendem Tone hervorgebrachten Fragen erwiderte der Unerschütterliche:
    »Der Hochschwebende kommt nicht herauf. Er hat es abgelehnt, sein Comptoir zu verlassen. Vielleicht ist er schon vom Gewölbe herabgefallen und atmet nicht mehr …«
    Ein anderer der greisen Xenospasten gab hier sein dichtes Schweigen auf und murmelte:
    »Unser Hochschwebender hat wie alle großen Persönlichkeiten einen schlechten Charakter …«
    »Er möchte das Isochronion für sich behalten«, nickte der Nachbar dessen, der soeben gesprochen hatte.
    Der Gleichgültige oder Unerschütterliche sagte jetzt mit ungewohntem Nachdruck:
    »Wir aber brauchen das Isochronion und werden darauf eine neue Disziplin begründen …«
    Das Wort »Isochronion« ist gefallen. Es ist das letzte griechische Fremdwort meiner an derartigen Fremdworten leider so reichen Erzählung, die ich um seinetwillen hier noch einmal unterbrechen muß. Die Unterbrechung wäre unnötig, wäre ich mir über dieses »Isochronion«, das manche auch »Capsula« nannten, wirklich im klaren. Das bin ich aber keineswegs, und es ist eine große Frage, ob ein Mensch, der an den normalen Bewußtseinszustand des zwanzigsten Jahrhunderts gebunden ist, sich überhaupt über diese Sache völlige Klarheit verschaffen kann. Ich habe nichts mitgebracht als eine auf gewisse Erfahrungen gestützte starke Vermutung über jenes Isochronion, welches so wichtig für die Zukunft war (sein wird), daß die milden Fremdfühler nicht zögerten, jenen Knaben in die schmelzflüssige Hölle des zerstörten Djebels zu schicken, um es dem lebendigen oder toten Hochschwebenden abzunehmen. Meinem alten Prinzip getreu, verschmähe ich es aber, meine zusammengesetzte Vermutung als ein sicheres Wissen in den Ablauf des Geschehens einzubauen. Andrerseits aber habe ich die Capsula eine Sekunde lang gesehen und verschiedene Andeutungen aus dem Munde der Xenospasten gehört, so daß ich nicht zweifle, auf dem richtigen Wege zu sein. Äußerlich war das Isochronion eine kleine sechseckige Metallkapsel mit je einem Riemen an jeder Seite. Sie erinnerte an die Phylakterien, an die Gebetriemen der Juden, wo ebenfalls eine Kapsel inmitten der Stirne des Beters befestigt wird. Was sich in der Kapsel des Isochronions befand, weiß ich nicht; Gebetsworte wie bei den Phylakterien dürften es nicht gewesen sein. Vielleicht eine unfaßlich komplizierte Formel, vielleicht der Tropfen einer sideralen Essenz, vielleicht das Körnchen einer aus Sternnebelwelten geschöpften Droge, ich weiß es nicht. Jedenfalls mußte das Anlegen des Isochronions eine mächtige Wirkung auf den menschlichen Geist ausüben, dessen Stirne es berührte. Welche Art von Wirkung konnte das sein? Wir hatten im Wintergarten, an der Stätte der Zellteilung und des Zerfalls erfahren, was das ist, autobiologische oder heterochrone Zeit. Es war die persönliche, vom allgemeinen Zeitablauf losgelöste Zeit des vereinzelten Organismus, die todumschlungene Zeit der Ich-Insel. Sprachlich bedeutete Isochronie das Gegenteil von Heterochronie. Genau übersetzt hieß Isochronie nichts anderes als »Gleichzeitigkeit«, meiner Vermutung gemäß freilich die Gleichzeitigkeit des Weltalls oder, genauer, die Gleichzeitigkeit aller Erscheinungen innerhalb des Weltalls. Was kann dieser Begriff bedeuten, kosmische Gleichzeitigkeit? Er bedeutet, wenn man mir folgen will, durchaus nichts Unvorstellbares, Philosophisch-Abstraktes. Gestern hatte der Hochschwebende des soeben abgelaufenen Zeitalters eines der Welträtsel meinen Ohren preisgegeben: »Der Kosmos hat die Gestalt des Menschen.« Wenn die Gestalt des

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