Stern der Ungeborenen
zu halten. Ich sah hilfesuchend meinen Freund B. H. an, der in seiner verwitterten Leutnantsuniform aus dem Ersten Weltkriege neben mir stand. Dieser erbleichte. Ich aber hielt mich nicht zurück zu sagen:
»Haben wir nicht einen Mann unter uns, der im Ersten Weltkrieg zum Offizier aufgestiegen ist? Könnte er nicht unserm Monsieur Fiancé, der ganz seltsamerweise verschollene Kriegsgeschichte zum Vergnügen treibt, viel anschaulicher Kunde und Schilderung geben als ich, der ich ein sehr schlechter Soldat war und es mit Ach und Krach nur zum Sergeanten gebracht habe …«
»Halt, F. W.«, rief B. H. und hielt mir beschwörend die Hand vor den Mund, »ich hätte nicht angenommen, daß du dich zu mir so unfreundschaftlich, ja so unfair betragen würdest. Gut, es ist wahr, ich bin ein Wiedergeborener. Aber ich bin viel mehr als das, ich bin ein Zeitgenosse dieser Herrschaften, und zwar voll und ganz. Ich lehne ab, ich refüsiere, ja ich protestiere leidenschaftlich dagegen, daß man meine durchaus zeitgenössische Person mit irgendwelchen schimpansischen Affären und stinkenden Barbareien der Vorzeit in Verbindung bringt. Und du dürftest das am wenigsten tun, F. W. …«
»Aber mein lieber alter Freund«, fiel ich schuldbewußt und kleinlaut ein, »warum gehst du dann in dieser feldgrauen Uniform herum, anstatt dich deinen verehrten Zeitgenossen auch gewandlich anzugleichen?«
B. H. zog die verblichene Militärkappe mit nervöser Hand tief in die Stirn, damit man so wenig wie möglich von seinem schwarzen Haar wahrnehme, das auf keine Weise wegzupraktizieren war.
»Ich trage diese unangenehme Verkleidung nur um deinetwillen«, sagte er leise, »damit du dich etwas heimischer fühlst und nicht etwa an Fremdheit erkrankst.«
Also doch, dachte ich, der Gute! Er wollte mich bei unserer Wiederbegegnung nicht in Schrecken versetzen. Vielleicht aber hätte ich ihn auch gar nicht erkannt, wenn er in der verwischten Nacktheit oder in der gewählten Schleierraffung der Zeitgenossen vor mir aufgetaucht wäre. Jedenfalls,
er
hat mich sofort erkannt, sogar als ich noch unsichtbar war. Das beweist, daß er der bessere Freund ist als ich. – Ich begriff plötzlich, daß ich mich in der Tat unfair benommen hatte, ihn mit unserer gemeinsamen Vorzeit allzusehr zu belasten. B. H.’s, des Wiedergeborenen, Sinnen und Trachten mußte ja dahingehn, der gegenwärtigen Epoche und menschlichen Gesellschaft
ungeteilt
anzugehören. Es war dies freilich ein Sinnen und Trachten, das niemals voll sein Ziel erreichen konnte. Kein Wiedergeborener konnte ja einer bestimmten Gegenwart ganz und gar angehören. Ich verstand plötzlich das Problem noch tiefer. B. H. war der geistige Mensch in Person. Was aber ist der geistige Mensch anders als einer, der durch mehrere Wiedergeburten hindurchgegangen ist? Der geistige Mensch kann daher in keinem Zeitalter wirklich zu Hause sein, und will er sich nur halbwegs einrichten, ist er gezwungen, Zugehörigkeit zur jeweiligen Menschheit zu simulieren. Ich versuchte schnell, meinen Fehler gutzumachen und die allgemeine Aufmerksamkeit von B. H. abzulenken. Darum schloß ich die Augen und seufzte bereitwillig:
»Wie soll ich Ihnen in wenigen Worten den Eindruck dessen vermitteln, was wir voreinst als Weltkrieg Eins oder Zwei erlebt haben? Soll ich Ihnen das Gefühl eines relativ freien jungen Mannes darstellen, der ohne viel Federlesen mit Hunderten andern in eine Baracke gepfercht wird, um gedrillt, das heißt einem Verrohungs- und Verhärtungsprozeß unterworfen zu werden, der ihn tauglich zum Soldaten macht? Wie könnte ich so fortgeschrittenen Menschen wie Ihnen, die Sie sogar Ihren Körper von fester Nahrung und frischer Luft fernhalten, ja, wie könnte ich Ihnen den Zustand von Leuten faßlich machen, die monatelang in wasser- und dreckgefüllten Schützengräben, Unterständen, Fuchslöchern wachen und schlafen, wobei sie tagaus, tagein und in jeder Nacht von Sturzkampffliegern, Mörsern, Bombern, schwerer Artillerie, Feldartillerie, Tankartillerie, Schiffsgeschützen, Maschinengewehren jeder Art und wovon nicht sonst am Leben gehindert werden und Gott um eine schwere Verwundung betteln, damit diese sie von der schrecklichen Ausgesetztheit erlöse? Und schlimmer als das, Sie, meine Herren, die Sie bereits so kultiviert sind, daß Sie eine leichte körperliche Berührung, wie es etwa der treuherzige Handschlag der Urzeit war, in abscheugeschüttelte Verwirrung versetzt, wie sollten und können
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