Stern der Ungeborenen
übertragenen blind, taub und stumm. Dahingegen haben sie das innere Auge und das innere Gehör so vollkommen ausgebildet, daß ihnen gar nichts verborgen bleibt und daß sie alles Sichtbare und Hörbare, welches ihren Sinnen verschlossen ist, und mehr als nur dies, mittels ihrer inneren Hellsichtigkeit und Hellhörigkeit schärfer und deutlicher erkennen, als es den bloßen Sinnen möglich wäre. Ich will nicht zu viel darüber sagen«, schloß B. H. seine Ausführungen, »aber der Bruder Mutarianer Io-Fra, wenn ich nicht irre, sieht uns hier beisammen ohne zu sehn und hört unsre Worte ohne sie zu hören, und er sieht und hört so verdammt viel, daß einem angst und bange werden könnte, nicht wahr, wertester Io-Fra …?«
Io-Fra, der Blinde und Taubstumme, lächelte mit seinem sonderbar glatten Gesicht zum Zeichen, daß er alles gesehn und gehört hatte und viel mehr noch, als was mit gesunden Augen und Ohren zu sehen und zu hören war. Ich konnte mir nicht helfen, die rosige Glätte seines Gesichtes gemahnte mich an frische Haut, die sich nach Verbrennungen ersten oder zweiten Grades wieder bildet. Des Bräutigams Vater, Io-Solip, das freundlichste und gutartigste Wesen, das mir bisher auf meiner Forscherfahrt begegnet war, ließ es sich nicht nehmen, seinerseits des Mutarianers Lob zu singen:
»Sie finden alles, die Brüder Mutarianer, Seigneur«, sagte er.
»Da können Sie das Wollknäuel oder das Riechfläschchen so listig verstecken, wie Sie wollen, der Mutarianer geht unbeirrt drauf los und zieht’s heraus hinter der geheimsten Klappe. Sollen wir einen Versuch machen? …«
»Ich möchte den hochwürdigen Bruder nicht inkommodieren«, sagte ich erschrocken. »Ich nehme an, daß er andre Aufgaben in diesem Hause erfüllt, als Wollknäule und Riechfläschchen zu suchen.«
»Die Mutarianer«, sagte B. H. jetzt mit der deutlichen Absicht, das etwas peinliche Gespräch über einen anwesenden Fünften zum Abschluß zu bringen, der blind und taub war und gerade deshalb schärfer sah und hörte, »die Mutarianer haben sich’s zur Pflicht gemacht, den Hochzeitern und Freiern während der großen Tage im Hause ihre Dienste und ihre Kenntnisse zu weihen … Und das erklärt alles!«
Gewiß, dies erklärte alles. Weniger erklärlich aber war’s, daß Fiancé Io-Do gerade in diesem Augenblick ungeduldig, ja ärgerlich wurde:
»Ich scheine ja hier die letzte Nebenperson zu sein«, rief er dem deutlich erschreckenden Herrn Io-Solip zu. »Man langweilt Seigneur mit lauter banalen Selbstverständlichkeiten und kommt gar nicht dazu, sich mit den wichtigen Dingen zu beschäftigen, die er bei mir findet. Ich bin schließlich der Bräutigam. Seigneur kann sich von einer Sekunde zur andern in Nichts auflösen, und dann hätte ich das Nachsehen, denn wozu habe ich mir ein paar historische Fragen zurechtgelegt? Und außerdem hat Seigneur noch gar nichts bemerkt …«
Io-Do hob mit gekränkter Mattigkeit seinen Arm und wies auf die rechte Längswand des Zimmers. Niemals war mir die Fensterlosigkeit dieses Zeitalters so stark aufgefallen wie in dieser Sekunde. In dem ausgesprochen orange-farbenen Lichte dieses Gemachs – es ahmte, wie ich bald erfuhr, die Farbe des Mars-Planeten nach – entpuppte sich die rechte Längswand als die Schaufläche eines Museums. Den Sinn der verrosteten und verwitterten Altertümer freilich, die da dicht nebeneinander hingen, konnte ich nicht sogleich fassen. Es waren zumeist dünne, schmale Röhren und Röhrchen, aus verschiedenen mir unbekannten Metallen gegossen, manche davon durchsichtig wie Glas oder durchscheinend wie Speckstein. Reste von elektrischem Draht, mit dem das untere Ende einiger dieser blasrohrartigen Dinger umwickelt war, deuteten auf ein Zeitalter der Elektrizität hin, das dem meinigen nahegelegen sein mußte.
»Es sind einige sehr kostbare Ausgrabungen darunter, noch aus den Perioden vor der Sonnentransparenz«, verkündete Herr Io-Solip nicht ohne Vaterstolz. Bei diesen Worten erst entdeckte ich unter all diesen langweiligen Röhren, deren Sinn ich nicht kannte, einen primitiven Bogen mit Pfeilköcher und das Wrack eines hochmodernen Submaschinengewehrs aus dem Zweiten Weltkrieg.
»Meine Herren«, rief ich aus, »das sind ja Waffen! Zwei davon erkenne ich genau, Pfeil und Bogen und ein Maschinengewehr letzter Erfindung, das heißt natürlich, letzter Erfindung von einem Standpunkte gesehn, den ich vor tausend Jahrhunderten etwa verlassen habe … Es ist eine
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