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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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rüstigen Seigneur, einen mit allen philosophischen Wassern gewaschenen Eiszeitler, Prädiluvialisten und Vorsonnentransparentler, der es sich zur Ehre anrechne, als Unentschiedener in der letzten Runde zwischen Sophistes Io-Sum und Sophistes Io-Clap zu fungieren, um nach einem gerechten und mental wohlbegründeten Urteilsspruch dem Sieger den Preis der hellgelben Handgelenkschleife zuzusprechen. Niedergedonnert stand ich da. Mein Mund öffnete und schloß sich schnappend. Plötzlich versuchte ich, auf meinen sausenden Hermesschuhen auszubrechen. Aber schon umgab mich die Gruppe unseres Hauses, allen andern voran der goldbehelmte Bräutigam, den dieses Ereignis mit prickelnden Emotionen zu versorgen schien.
    »Was soll ich machen, B. H.?« flüsterte ich und fühlte, daß ich bleicher war, als es selbst einem Gespenste zukommt.
    »Keine Geschichten sollst du machen«, flüsterte B. H. zurück.
    »Bedenke doch meine Verwirrung«, flüsterte ich.
    »Laß dich laufen«, flüsterte er zurück, »und folge nur deinen Einfällen. Je mehr Zick-Zack, um so besser.«
    »Wohin geht es?« fragte ich, schon etwas lauter, und fühlte mich mutiger werden.
    »Zum Uranographen«, antworteten alle, wie aus einem Mund.
    Und da war er auch schon, der Uranograph, der Himmelsschreiber, der Redakteur en Chef der »Abendsterne«. Er stand mitten in der kühlen, freien Nacht vor einem wackligen Pult. Vor ihm lag nichts als zwei, drei schmierige Blätter Papier. Jedesmal, wenn er mit einem abgenagten Bleistiftstummel ein paar Worte auf solch einen gelblichen Käszettel warf, begannen die Sterne eifrig durcheinanderzuhüpfen und Texte zu bilden. Wie? Ja, das war eben das optische Manöver. Der Uranograph bot uns den vollendet gelangweilten Gesichtsausdruck dar, der ein nicht unwichtiger Bestandteil der journalistischen Berufsehre ist. Der echte Journalist nämlich neigt zu der Überzeugung, daß die Fakten an sich gar nicht da sind, sondern erst dadurch ins Leben treten, daß er sie berichtet. Nachdem er sie dann freilich berichtet hat, gibt er ihnen, als einem Teil seiner selbst, ein bißchen mehr Ehre als vorher. Er gehört somit zu den Leuten, die von einem heimlichen Schöpferhochmut verzehrt werden, der nur ein einziges Luftloch nach außen besitzt, eben jene gelangweilte und sichtlich abstrapazierte Suffisance, die nicht einmal durch den Weltuntergang interessiert werden kann. Der Uranograph sah mich also mit abstrapazierter Suffisance an, als wäre für ihn eine Materialisation aus den vierziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts nicht nur eine alltäglich selbstverständliche, sondern auch eine verdächtige Erscheinung. Nachdem mir seine Augen eine Zeitlang das berufliche Niladmirari zu verstehn gegeben hatten, fragte er mich mit leiser und brummender Stimme:
    »Haben Sie Ihre Entscheidung getroffen, Seigneur?«
    Die gelangweilte Miene des Uranographen und seine gleichgültige Stimme, die vermutlich ausdrücken wollte, daß er an mich ebensowenig glaubte wie an alle andern Fakten, die er mit seinem abgenagten Bleistiftstummel an den Himmel schrieb, diese Miene und diese Stimme gaben mir, indem sie mich beleidigten, eine gar köstliche Frische und Energie:
    »Die Gedankengänge Io-Sums und Io-Claps«, sagte ich, »sind beide in sich geschlossen und voll vertretbar.«
    Ein schwacher Schimmer von Aufmerksamkeit glomm im Blick des Uranographen auf:
    »Soll das heißen, Seigneur«, fragte er, »daß Sie den Wettkampf für unentschieden erklären?«
    »Nein«, erwiderte ich mit leichtem Nachdruck. »Ich erkläre ihn für entschieden, und zwar zugunsten Professor Io-Sums.«
    Der Uranograph gähnte. Es war der erste Mensch des Zeitalters, den ich auf dieser physischen Reaktion der Abgespanntheit ertappte.
    »Und welche Begründung«, fragte er, »haben Sie für Ihren unappellablen Urteilsspruch, Seigneur?«
    »Eine sehr einfache und sehr schlüssige«, sagte ich langsam, Wort für Wort setzend, während mir das Herz warm wurde vor lauter oxydierendem Rechthaben, »Sophistes Io-Sum hat nur achtundfünfzig Worte zur Formulierung seines Gedankens verarbeitet, Sophistes Io-Clap hingegen hat hundertsiebenundvierzig Worte zur selben Konzentration nötig gehabt. Der Gedanke Io-Claps, der außerdem kein unabhängiger Grundsatz ist, sondern nur eine Widerlegung, ist daher um neunundachtzig Worte schwächer als der Gedanke Io-Sums. Rechnen wir zehn Worte als einen Punkt, so hat Sophistes Io-Sum in der letzten Runde neun Punkte gewonnen und somit in

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