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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Menge dieses Match bietet anstatt wie in der Vorzeit ein Baseballspiel, eine Radiotie oder eine Nuditätenrevue …?«
    »Nuditäten sind ja ziemlich überflüssig geworden«, sagte ich einfach.
    Diese sarkastische Antwort konnte meinen Freund nicht mehr treffen, denn alle wandten den Blick jetzt zum schwarzen Brett der Himmelszeitung, auf welcher die Sternschrift wieder zusammenzuhüpfen begann. Sie glich, ins Kosmisch-Erhabene gesteigert, den Lauftiteln zur Zeit des stummen Kinos oder den aufleuchtenden und verlöschenden Neonreklamen an den Häuserfronten der großen Boulevards unsrer Metropolen:
    »Professor Io-Clap siebzehn Punkte. – Professor Io-Sum fünfzehn Punkte. – Professor Io-Sum kommt zum Zug. – Er hat in unermüdlicher Tagesarbeit von vollen zwanzig Minuten seinen Gedanken in achtundfünfzig Worte konzentriert. – Achtung! Achtung! Es folgen die achtundfünfzig Worte Professor Io-Sums …«
    Die himmlische Schultafel wurde für eine halbe Minute schwarz, sogar beträchtlich schwärzer als vorher, dann begannen die Sternlein wieder zusammenzuhüpfen, um der Lehrmeinung des Sophistes Io-Sum über die größte Streitfrage aller Zeiten zur Schrift zu dienen, die ich hier übermittle:
    »Die menschliche Sprache, selbst unsre Monolingua, ist nur ein Geschöpf des Geschöpfes. Das Geschöpf des Geschöpfes kann nur das Geschöpf beweisen, nicht aber den Schöpfer. Das Geschöpf hingegen, vorzüglich der Mensch, ist die Sprache des Schöpfers. Der Schöpfer beweist durch diese Sprache hindurch seine Haupteigenschaft, die Allgüte, indem trotz allem jedes Geschöpf lieber
ist
als
nicht ist.
«
    Bravo, bravo, alter Schlaumeier, Sophistes und Professor Io-Sum, das haben Sie recht hübsch auf der Drehbank der Monolingua gedrechselt in den zwanzig Minuten ihrer unermüdlichen Tagesarbeit! Welch ein Fleiß für die zarte Konstitution des modernen Denkers, dachte ich amüsiert in mich hinein. Es ist ein wackerer Aphorismus, mehr literarisch zwar als professoral oder gar aus Glaubensdemut erflossen. Der Gedanke spielt mit seinen achtundfünfzig Worten und hüllt sie in den gehörigen wolkigen Dunst, wie es sich für solche Themata gehört. Nehme ich aber den Gedanken selbst aufs Korn, so begrüße ich einen meiner ganz alten Bekannten oder mindestens jemand, der einem dieser ganz alten Bekannten sehr ähnlich sieht. Es sind übrigens zwei Gedanken, recht pfiffig gemixt. Das Geschöpf ist die Sprache des Schöpfers. Solche Einfälle hat unsereins mit neunzehn Jahren recht verschämt aufs Papier geworfen. Kommt alles aus dem Prolog des Vierten Evangeliums: »Im Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott …« usw. – Der zweite Gedanke aber ist erst der eigentliche: Gott beweist sich in seiner Güte dadurch, daß wir, die Geschöpfe, lieber
sind
als
nicht sind,
trotz allem. Also Sie verfügen auch über ein »trotz allem«, meine werten Ios beiderlei Geschlechts? Ewige Jugend oder Alterslosigkeit, eine Lebensdauer bis an die Grenze der Sättigung, ja des Überdrusses, Sicherheit und Sorglosigkeit auf jedem Daseinsgebiet, kein Krieg, keine Arbeit, die ganze Produktion der Güter besorgt ein prächtiger Arbeiter mit vermutlich blondem Vollbart und liefert sie jedem ins Haus; Spiel ist das Hochziel des Menschen, und zwar lallendes Kinderspiel, bewußtlos entspanntes Anheimgegebensein den Weltkräften, während ein bißchen Glücksspiel oder Wettspiel fast schon unerlaubte Friktionen und Übertretungen sind. Und am Ende gar, da doch auch dieses mentale Schlaraffenleben ein Ende nehmen muß, da ahne ich einen ganz und gar wundervollen Trick, das weitaus interessanteste Detail meines hiesigen Aufenthalts, in das eingeweiht zu werden mir noch bevorsteht. Und doch, auch hier dieses »trotz allem«, das vielleicht gar nicht so sehr verschieden ist von jenem ruhmreichen »trotz allem«, aus dem Roms Sklaven und Märtyrer die christliche Kirche gemauert haben. Wer weiß, wer weiß … Neugierig bin ich jedenfalls auf Sophistes Io-Claps Gegenzug.
    Ein braunes Gemurmel rundum rauschte mir brandungsgleich ins Ohr und unterbrach meine Überlegungen. Die Menschenmenge auf der zentralen Plaza mochte sich inzwischen verfünffacht haben. Wahrscheinlich fanden sich allabendlich auf der Riesenwaagschale dieser Agora Zehntausende zusammen, um sich im bläulich schwarz-weißen, aber sonst beinahe taghellen Sternlicht zu ergehen, die Himmelszeitung zu lesen und ihre Meinungen über die verschiedenen mentalen Matches

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