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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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werden …«
    »Das wäre sehr gütig von Ihnen«, hauchte ich.
    Herr Io-Fagòr blinzelte mir bedeutsam zu. Wir ließen die andern vor uns durch die Gartentür treten. Schwarz starrte das Lederlaub im Sternlicht. Weißlich bewegungslos hingegen dazwischen die krankhaften Riesenmagnolien, denen die Nacht ihren mattrosa oder gelblichen Farbanhauch geraubt hatte. Meine Augen aber glaubten jetzt viel mehr Blütenarten zu erkennen als früher. Um diese stygische Flora der mentalen Welt gaukelten die vogelgroßen, mottenflüglichen Nachtfalter und erzeugten irgendein nicht unangenehmes zwitschriges Geräusch, das sich manchmal zu einer Art von trockenen Trillern und raschelndem Schluchzen verstieg. Es stand im Verhältnis zu Vogelgesang wie tonloses Lachen zu echtem Gelächter. Ich hörte vermutlich den Nachtigallenschlag des mentalen Zeitalters.
    »Haben Sie etwas bemerkt?« fragte mich leise, aber angelegentlich der Brautvater.
    »Warum, was hätte ich bemerken sollen?« flüsterte auch ich, damit die andern nichts hörten.
    »Sie haben doch die Mononation kennengelernt, dort auf dem Geodrom …«
    »Was bedeutet das, Mononation?«
    »Ich meine natürlich die Menschheit, die Populace unsres Planeten …«
    Er gebrauchte das Wort »Populace« als französisches Fremdwort. Das gab mir den Mut, ihn in derselben Sprache als »Gevatter« anzusprechen:
    »Ach so, mon Compère, die Menschheit von heute meinen Sie. Leider habe ich schlechte Augen. Aber Ihre Menschheit, Ihre Populace hat mir ganz ausgezeichnet gefallen. Ein Gewoge von Schleiern in mattem Changeant, und man klatscht und stampft Beifall wie eh und je, und die kleinen Kinder auf den Armen ihrer Mütter oder Bonnen weinen sogar. Das hat mir am besten gefallen. Das hat mich ausgesprochen heimisch berührt …«
    Io-Fagòr blieb stehen und sah mich sonderbar schwermütig an:
    »Ich habe nicht gefragt, Seigneur, ob Ihnen unser Planetenvolk gefallen hat. Ich habe gefragt, ob Sie etwas Bestimmtes an diesem Volk bemerkt haben?«
    »Ich verstehe Sie nicht ganz genau …«
    »Ob Sie nicht eine Spannung bemerkt haben, Seigneur? Eine beängstigende Bitterkeit, eine höhnische Dissatisfaktion unterm matten Changeant?«
    »Nicht im geringsten, aber auch keinen Schatten davon«, erklärte ich nach bestem Wissen und Gewissen. »Die vergeistigte Populace, die mentale Menschheit, scheint mir in schönster Ordnung zu sein. Keinerlei Chaos mehr … Das heißt, wenn ich aufrichtig sein soll, so finde ich bisher nichts anderes außergewöhnlich als die Vorliebe Ihres künftigen Schwiegersohns für alte Kriegswaffen …«
    Io-Fagòr seufzte tief auf und hob ein wenig seine gelblich edle Rechte, um mir das Wort abzuschneiden. Man machte im mentalen Zeitalter meist nur sparsame Gebärden:
    »Oh, schweigen Sie, Seigneur«, flüsterte er. »Kein Wort darüber …«
    Ich hatte keine Zeit mehr, mir Io-Fagòrs tiefen Seufzer zu deuten, denn soeben war Io-Fra aufgetaucht, der Mutarianer, und hatte in vollkommener Stummheit dem Bräutigam etwas zu verstehen gegeben.
    Io-Do wandte sich zu uns um, sichtbar verstört:
    »Sie sollten sich beeilen, Seigneur«, mahnte er. »Soeben vernehme ich, daß Lala, meine herrliche Braut, in Tränen aufgelöst ist, weil Sie sich ihr so lange entziehen. Sie erwartet Sie schon seit dem Ende des Festmahls. Und nun geht die erste Vigilie der Nacht zu Ende.«
    »Es ist nicht meine Schuld, Fiancé«, verteidigte ich mich.
    »Ein Fremder meiner Art gehorcht dem Programm, das seine Gastfreunde für ihn entwerfen …«
    »Es ist meine Schuld allein«, sagte Bräutigam Io-Do, »und das ist das Schlimme daran.«
    Die Herren, samt Bräutigam Io-Do, mußten alle zurückbleiben. Das Betreten des Frauenhauses war ihnen verboten, und zumal während dieser Festtage, die der feierlichen Vereinigung von Mann und Weib vorangingen. Man wird sich gewiß darüber wundern, aber es gab heutzutage, in dieser entferntesten und aufgeklärtesten Zukunft wieder abgesonderte Frauengemächer oder Kemenaten, wie bei uns im ritterlichen Mittelalter und im islamitischen Orient. Das mochte in der strengeren Moral seine Ursache haben oder in der raffinierten Absicht, die süße Spannung zwischen den Geschlechtern zu vergrößern. Ich hatte mir den Wiedergeborenen zum Begleiter ausgebeten. Wenn der Jugendfreund nicht an meiner Seite war, fühlte ich mich in unbeschreiblicher Weise verlassen, obwohl ich mich mit meinem Anpassungsvermögen, dessen Io-Fagòr vorhin lobend Erwähnung tat,

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