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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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bereits in ziemlichem Grade an Zeit und Zeitgenossen gewöhnt hatte. Man machte also mit B. H. eine Ausnahme von Brauch und Sitte und erlaubte ihm, mir voranzugehen in die Gemächer der Braut. B. H., der Wiedergeborene mit allzuviel Erinnerung, gehörte ja nicht ganz dazu. Er war, wie wir schon wissen, nicht Vollbürger, sondern nur Anrainer der Epoche. Wenn er auch schon hundertundsieben Jahre mit den andern lebte, so zählte er doch zu den »geborenen Junggesellen«, zu welchen ich als eindeutiges Gespenst auch zählen würde, falls sich mein Aufenthalt hier über längere Zeit ausdehnen sollte. B. H. durfte mir also ins Brautgemach voranschreiten, das am Ende eines langen, nach Buchenlaub duftenden Korridors lag.
    Als wir die Schwelle überschritten, umfloß uns fülligstes Juli-Mondlicht, das, wie durch Blätterwerk gegittert, auf Wänden und Fußboden zitterte. Es war bereits das Licht des Honigmonds, das in der übernächsten Nacht die jungen Getrauten umschmeicheln würde, wenn sie das Hochzeitslager bestiegen. Dieses Hochzeitslager, höher und breiter als alle Couches im Hause, erhob sich in der Mitte des Gemaches. B. H. hatte mir den Vortritt gelassen. Eine plötzliche Schüchternheit, eine scheue Bangigkeit, oder war’s irgendein tieferes Vorgefühl, hielten mich nahe der Türe fest, wo auch B. H. neben mir stehen blieb. Bevor ich noch in dem unbeschreiblich angenehmen, aber nicht sehr deutlichen Mondlicht ohne Mond die einzelnen Personen im Raume genau unterscheiden konnte, geschah es, daß der Hund Sur auf mich zusprang und mich durch eine Ansprache beehrte, deren Enträtselung und gleichzeitige Abwehr meine Aufmerksamkeit eine ganze Weile lang in Anspruch nahm. Es war wiederum ein forciert naives Geplapper, hinter welchem sich Unbehagen und Angst vor mir nur ungenügend verbargen:
    »Bitt’ um Entschuldigung, Sösur (er konnte natürlich Fremdwörter wie Seigneur nicht aussprechen), ich furcht’ mich nit. Gar nit hat Sur Angst. Gun’n Abend, Gut’ Nacht. Hoffentlich wird lang geblieben. Noch ein Schmaus und noch ein Schmaus, dann ist’s aus. Wir übersiedeln, Sur mit Papachen und mit dem großen Mamachen. Das kleine Mamachen weint, sehn Sie nur, Sösur. Das kleine Mamachen …«
    »Halt endlich deine Schnauze, Sur«, ließ die Brautmutter Io-Rasa ihre Stimme vernehmen. Sie stand am Fußende des Hochlagers und arrangierte darauf einen Strom jener rostroten, tragantartigen Strauchblumen, die mir als Stellvertreterinnen unsrer Rosen schon beim ersten Anblick der umfriedeten Baumgruppe aufgefallen waren:
    »Treten Sie näher, Seigneur«, fügte Io-Rasa dem Verweise hinzu, der den eloquenten Hund veranlaßte, sich murrend irgendwo zu verkriechen, denn ich machte ihn trotz seiner gegenteiligen Versicherung außerordentlich nervös.
    »Treten Sie nur ganz nahe, Seigneur, mit Ihrem liebenswerten Freund«, ertönte noch eine Frauenstimme. Sie konnte aber nicht die Stimme der Braut sein. Es war ein prachtvoller Kontra-Alt, auf dem ein vernehmlicher Schatten lag, nicht etwa vom Alter, sondern von bewußter, lüsterner und lästerlicher Verlebtheit, die nur mehr durch die stärksten, die schamlosesten Würzen zur Genußfähigkeit gesteigert werden kann. Unnötig zu sagen, daß dieser Kontra-Alt der Ahnfrau angehörte, Io-Fagòrs Madame Urgroßmama, und somit der Ururgroßbrautmutter. Die alte Dame, deren untadelige Jugendlichkeit und Schönheit uns schon wohlbekannt ist, stand an der Wand, nahe dem mächtigen Brautbette, das heißt sie stand nicht, sondern sie lehnte, ja sie lag beinahe auf einer bügelbrettartigen Vorrichtung, die nach Wunsch aus der Wand hervorgeklappt werden konnte und eigens für diejenigen bestimmt zu sein schien, welche unsern müden, gebrechlichen und alten Leuten entsprachen. Es war eine sehr angenehme Stütze. Man stand und lag zugleich. Ich, mit meinen zerschlagenen Knochen, beneidete Madame Ururgroßmama außerordentlich.
    Ich muß hier noch, ehe ich mich der wahren Heldin meines Berichtes zuwende, einige Worte der Wand widmen, aus welcher die erwähnte Stütze hervorgeklappt wurde. In den Gemächern, die ich bisher betreten hatte, war meine Aufmerksamkeit viel zu ausschließlich auf die Menschen gerichtet gewesen, als daß ich sie auch auf die Gegenstände und Dinge hätte voll einstellen können. Nicht einmal Fiancé Io-Dos wandausfüllende Waffensammlung hatte mir ins Auge gestochen. Der eilige Leser pflegt in einem handlungsreichen Roman sehr oft die schönsten

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