Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
Vom Netzwerk:
Geister der im Kreise gelagerten Zusammenstimmer in Bewegung setzend, so daß diese unsern scharf eingestellten Reisewunsch mit dem von tausend andern Reisenden mittels einer meinen Verstand hoch übersteigenden, jedoch klaglos funktionierenden Supra-Mathematik in Harmonie brachten. So, und von jetzt an werde ich, was immer ich auf mich auch zubewege, des Mentelobols und seiner Funktion kaum mehr Erwähnung tun, in der Voraussetzung, daß die hochentwickelte Einbildungskraft des Lesers mir die Mühe abnehmen wird, bei jeder Ortsveränderung den ebenso wohlvertrauten wie unerklärten Vorgang immer wieder darzustellen.
    Io-Fagòr empfing uns, nicht ohne dem Wortführer einen leichten Vorwurf zu machen. Als er aber an meinem linken Handgelenk die veilchenfarbene Schleife bemerkte, die der Major Domus Mundi aus seinem eigenen Schleiergewand gerissen hatte, um mich auszuzeichnen, da neigte der Brautvater anerkennend sein noch immer goldenes Haupt vor mir: »Sie haben meinem Hause große Ehre gebracht, Seigneur. Ich habe mit Stolz den Verlauf der Dinge in den ›Abendsternen‹ verfolgt. Ihr Preisspruch war von echtem spielerischen Geiste und feinem Takt bestimmt. Ich gratuliere Ihnen zu der höchsten Klasse der Handgelenkschleife, die unser Weltoberhaupt zu vergeben hat.«
    Ich sah wieder einmal an mir herab, mit innerlichem Mißbehagen die alten Flecken auf dem Seidenrevers meines Frackes bemerkend, den armselig herabbaumelnden Orden und die aufgerauhte linke Manschette, die ich unbewußt über die violette Ehrenschleife gezogen hatte, um sie zu verdecken. Ich zuckte die Achseln. Es war keine Gebärde des Hochmuts, sondern nichts als peinliche Verlegenheit.
    »Ich weiß, Seigneur«, lächelte Io-Fagòr und sagte mit Nachdruck, »daß Ihnen solche Erhöhungen und Ruhmeszeichen nicht nur nichts bedeuten, sondern vermutlich eher lästig sind …«
    »Nein, nein, mein Gastfreund«, widersprach ich, »dem ist leider nicht so. Nachdem ich die wirklich lebhafte Erfahrung gemacht habe, daß nicht nur unser menschliches Ich samt seinem Körper unzerstörbar ist, sondern sogar der abgetragene Frack, in dem er steckt, bin ich unangenehmerweise gezwungen, Ihnen zu beichten, daß auch die Eitelkeit dieses Ichs unzerstörbar ist. Ich bin viel stolzer auf die Schleierschleife Seiner Exzellenz des Geoarchonten, die ich mir durch einen mäßigen Scherz verdient habe, als auf dieses Metallding hier, für welches ich unvergleichlich mehr Arbeit leisten mußte …«
    »Es war gar kein so mäßiger Scherz, Seigneur«, sagte Io-Fagòr ernst, »sondern es war die erstaunliche Anpassungsfähigkeit, die wir an Ihnen alle so hochschätzen. Ihre Leistung erscheint mir um so größer, wenn ich bedenke, wie lange Sie pausiert und nur die leeren Takte des ›Tacet‹ in der Zeitlosigkeit gezählt haben …«
    Io-Fagòr, ein begabter Mann durch und durch, hatte dieses musikalische Bild gebraucht, das meiner Erfahrung nicht entsprach, obwohl es recht geistreich war. Er verglich die Pause zwischen Sterben und Wiederbelebtwerden mit den leeren Takten einer Partiturstimme, während welcher diese schweigen muß, weil ihr der Autor das »Tacet« vorschreibt; der Musiker aber, der diese Stimme im Orchester zu spielen hat, ist verpflichtet, die leeren Takte auszuzählen, damit er den Einsatz nicht versäumt. Ich hatte bisher noch zu wenig Muße gehabt, um über den Zustand meines Ichs nachzudenken, wie ich ihn zwischen einer undeutlichen letzten Nacht und meinem Auftauchen auf dem eisengrauen Rasen vor wenigen Stunden erlebt hatte. Einer musikalischen Pause, in der man Takte zählt und womöglich auf den Kapellmeister starrt, war er keinesfalls zu vergleichen.
    »Die Zeitlosigkeit«, bemühte ich mich, Unerklärliches zu erklären, »ist durchaus keine Pause, keine Leere, kein Loch, sie ist überhaupt keine Absenz von etwas, das ohne sie fortbesteht. Sie bleibt weder stehen, noch geht sie vorüber. Sie ist wie ein erstarrter Blitz, ein Augenblick, der ununterbrochen davonstürzt ohne zu verschwinden. Sie ist …«
    »Überarbeiten Sie sich nicht, Seigneur«, unterbrach mich Io-Fagòr besorgt. »Sie werden blaß und transpirieren, wie immer, wenn Sie zu viel von Ihrem Existenzinstrument fordern. Ich selbst habe an den Wundern der Zeitlosigkeit ein wenig herumgenascht, vor Jahren habe ich am höheren Laienkurs der Chronosophen, und zwar der ›Sternwanderer‹ teilgenommen. Ich werde dafür sorgen, daß Sie in die Lamaserien der Chronosophen eingeführt

Weitere Kostenlose Bücher