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Stern ohne Himmel

Stern ohne Himmel

Titel: Stern ohne Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Ossowski
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Schlüssel, der die Tür ihrer Schatzkammer öffnete, und in Anteks Hand lag es, ob man eine wässerige Kohlsuppe notgedrungen hinunterschlang oder ob man sie verkaufte, weil man sich auf angenehmere Weise satt essen konnte. Sehnsüchtig sah Paule zu Willi und Zick hinüber, die fröhlich und mit gewohnter Routine ihre Suppe feilboten.
    »Das kommt dir teuer, Antek«, sagte Paule langsam.
    Antek würdigte den Freund keines Blickes. »Willst du drohen?«
    »Mir egal, wie du das nennst, aber mit Paule machst du so was nur einmal.« Immer wenn Paule sich ärgerte, nannte er sich selbst beim Vornamen.
    »Lächerlich, dein Palaver wegen einer Wassersuppe.«
    Paule fuhr herum. Sein dreieckiges Gesicht wurde noch blasser, nur die Ohren röteten sich im Zorn.
    »Wassersuppe?«, er beugte sich zu Antek: »Du meinst Trillerpfeife.«
    Antek schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er gelassen, »ich meine Wassersuppe!«
    »Du hast Paule ein Geschäft vermasselt und dafür wirst du zahlen. Das schwör ich dir.«
    Antek nahm das nicht tragisch. Er hob gelangweilt die Schultern und warf dem Freund ein höhnisches »Wie denn?« hin.
    Rektor Jähde gab das Zeichen zum Aufstehen. Damit begann für die Jungen die ersehnte Freistunde. Antek, Paule, Willi und Zick hörten ungeduldig den Mahnungen Nagolds zu, pünktlich um drei Uhr zur Probe zu erscheinen.

Während Willi und Zick vor dem Gebäude auf Antek warteten, war Paule schon vorgelaufen. Er hatte keine Lust gehabt, mit Antek zusammen den Weg zu gehen. Er brauchte Zeit, um herauszufinden, wie er sich am besten rächen konnte.
    »Hast du auch Hunger?«, fragte Zick kläglich.
    Willi sah den Kleinen verächtlich an. »Du kannst dich nie zusammennehmen, es ist immer dasselbe.«
    »Für Hunger kann man nichts«, gab Zick böse zurück, »mein Magen ist überhaupt kein Magen mehr, sondern ein Loch, so groß wie der Hintern in deiner Hose.«
    »Darauf antworte ich überhaupt nicht«, sagte Willi wütend.
    »Nein, weil du nämlich auch Hunger hast. Du bist bloß zu dick, da sieht man’s nicht. Aber bei mir …«
    Wie zur Bestätigung krümmte er sich zusammen und hockte sich auf die Steinstufen.
    »Wenn du nicht erst zehn wärst, würde ich dich verdreschen, aber Kindern tu ich nichts.«
    Willi zog sein Koppel zusammen und ging großspurig auf und ab. Endlich kam Antek.
    »Ich hol erst Ruth«, rief er den beiden zu. »Wollt ihr mit?« Zick und Willi wollten nicht.
    »Immer das Weib dabei«, sagte Willi ärgerlich, »wir haben schon lange genug gewartet.«
    »Gib uns wenigstens den Schlüssel«, schlug Zick vor.
    Antek zögerte. »Wo ist Paule?«
    »Wissen wir nicht, der wird schon nachkommen.«
    »Also gut«, Antek warf Willi den Schlüssel zu und war gleich darauf in Richtung Kornhaus verschwunden.
    Zick und Willi lachten. Wie auf Kommando schlüpften sie gleichzeitig durch die Treckwagen auf die entgegengesetzte Seite des Marktes. Hier führte die Straße zur Stadtmauer, bis zum alten Tor, hinter dem das neue Viertel, zerstört und bis auf die Grundmauern ausgebrannt, ein Bild trostloser Vernichtung bot. In metertiefen Kratern hatte sich Wasser gesammelt. Es stank nach Verwesung und an den schlammigen Pfützen hockten Ratten. Hier zwischen Unrat und Fäulnis, zwischen Gestank und Tod lebten sie ungestört.
    Willi und Zick kletterten durch die Trümmer.
    »Hier ist die Schillerstraße«, sagte Willi und bog links ein.
    Der Pfad wurde immer schmaler. Sie waren fast am anderen Ende des zerbombten Stadtteils angelangt. Die Stille war unheimlich.
    »Möchtest du hier nachts langgehen?«, fragte Zick.
    Beinah wäre Willi ein »Nein« über die Lippen gekommen. Aber er beherrschte sich: »Wenn es ein Befehl wäre, natürlich.«
    Zick sann Willis Worten nach. »Findest du das richtig, was wir machen?«
    Willi blieb stehen. »Richtig«, stieß er verwundert hervor, »was heißt das schon.« Er zeigte mit beiden Armen von der Stadtmauer über Steine, Ruinen, Krater, bis zu den Feldern. »Schließlich sind alle Leute hier tot, nicht?«
    Er sagte das so gleichgültig, so selbstverständlich, als gehöre es zum täglichen Brot, dass in der Woche ein paar hundert Menschen durch Bomben umkamen. Für ihn war das wohl selbstverständlich. Etwas anderes kannte er nicht.
    »Und wenn du tot wärst?«
    Willis dickes Gesicht lachte.
    »Bin ich aber nicht, und wenn du weiter so idiotisch fragst, bekommst du Dresche.«
    Nach einer Pause setzte er ernsthaft hinzu: »Vielleicht sterb ich – als Soldat oder als

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