Sternchenhimmel
Stativ befestigt und zielte damit auf die Stelle, wo er das Ködernetz versenkt hatte.
Für einen Mann, dessen Arbeit aus der bildlichen Darstellung bestand, hatte Bang Abbott für die Welt der Natur ungewöhnlich wenig übrig. Er hatte niemals einen Sonnenuntergang oder eine Wiese voller Wildblumen fotografiert, nicht einmal einen Pelikanschwarm. Wenn auf einem Bild kein Mensch zu sehen war, interessierte es Bang Abbott nicht besonders. Seine Kenntnisse in Sachen Tierverhalten waren dürftig und gründeten auf rührseligen Filmen und inszenierten Fernsehdokumentationen. Zu seinen zahlreichen Fehleinschätzungen gehörte die Überzeugung, dass Haie im flachen Wasser leicht zu sehen wären, weil ihre Rückenflossen herausragten. Er hatte vor, den Badenden eine Warnung zuzubrüllen, sobald er die erste Flosse entdeckte, und dann draufloszufotografieren, um nur ja nichts von ihrer panischen Flucht zu verpassen.
Der Plan war schlecht durchdacht und aberwitzig gefährlich. Bang Abbott war davon ausgegangen, dass die Haie ihrem Geruchssinn folgen und sich auf den blutenden Köderbeutel stürzen würden, ohne die zappelnden Touristen zu beachten. Als die ersten Schreie ertönten, hatte ihn das völlig auf dem falschen Fuß erwischt, weil von seinem behelfsmäßigen Fotoansitz aus keine verräterischen Flossen zu sehen waren. Und er war aufrichtig schockiert, als ein Mann Mitte dreißig mit einer schief sitzenden Taucherbrille vor dem Gesicht schrie, er sei gebissen worden.
Heulend war das Opfer auf den Strand zugeplatscht; seine Beine strampelten verzweifelt in den Wellen. Als er durch den Sucher seiner klickenden Kamera spähte, fiel Bang Abbott auf, dass der Mann nur langsam vom Fleck kam, als zöge er etwas sehr Schweres hinter sich her. Andere Touristen bemühten sich, ihm auszuweichen; sie schrien und stießen einander zur Seite.
Der Grund war offenkundig geworden, als Terence Hughes sich dem Ufer näherte und sein Oberkörper aus dem Wasser auftauchte. Ein dunkelgrauer junger Zitronenhai von vielleicht knapp zwanzig Kilo Gewicht hatte sich in den Hintern des armen Mannes verbissen. Der Anblick war in der Tat bizarr gewesen, und die versammelten Zuschauer waren in entsetztes Geschrei ausgebrochen. Aus der Ferne hatte es zunächst so ausgesehen, als wedele Terence Hughes mit einem mächtigen, dicken Schwanz, doch Bang Abbotts Nikon zoomte das grausige Tableau rasch näher heran und fokussierte es. Der Verletzte hatte die Arme ausgestreckt und um Hilfe gefleht, doch niemand – nicht einmal seine Frau – traute sich in seine Nähe.
Meeresbiologen stellten später die Theorie auf, dass die oberste Zahnreihe des Hais in dem verstärkten Nylonbund von Terence Hughes’ vor kurzem erworbener, knallbunter Surfershorts hängen geblieben war. Als die so gefangene Kreatur aus dem Wasser gezogen worden war, hatte ihr Gewicht (in Kombination mit ihrem wahnsinnigen Gezappel) Terence Hughes die Shorts heruntergerissen und ihn nackt und blutend dastehen lassen. Der Zitronenhai war wieder ins Wasser gefallen und mit der zerfetzten Badehose sowie einem grapefruitgroßen Stück kanadischer Gesäßbacke davongeschwommen.
Rettungsschwimmer hatten den Strand rasch geräumt, und Polizeibeamte waren in Schnellbooten eingetroffen. Eins davon blieb mit der Schraube in den Resten eines noch mit Fleischfetzen besudelten Ködernetzes hängen. Inzwischen war Bang Abbott verschwunden. Er wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass der ältere Mann, der bei Tagesanbruch verbotenerweise seinen Jack Russell Terrier am Strand Gassi geführt hatte, ein Handyfoto von ihm gemacht hatte, als er gerade das Ködernetz ins Wasser zerrte. Oder dass der alte Sack das Foto herunterladen und es per E-Mail an die St. Petersburg Times schicken würde, nachdem er gelesen hatte, dass Bang Abbott für Haiattacke in Florida einen Pulitzerpreis gewonnen hatte.
Die Kontroverse, die darauf folgte, wurde von empörten Bloggern angeheizt, die Bang Abbott dafür verklagt sehen wollten, dass er den unheilvollen Fressrausch ausgelöst hatte. Letzten Endes wurde das Foto des Hundebesitzers für zu unscharf erklärt, um eindeutig zu sein, daher beschloss das Pulitzer-Komitee, Bang Abbott seine begehrte Auszeichnung nicht wieder abzuerkennen. Terence Hughes erholte sich von seinen Verletzungen und genoss eine kurze Phase der Berühmtheit. Er und sein Chirurg traten in populären Interviewsendungen auf und präsentierten anschauliche Videoaufnahmen von der
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