Sternchenhimmel
»Das mit dem Unfall – war das die Wahrheit? Bitte sagen Sie mir, dass Sie nicht bei einem Date zusammengeschlagen worden sind oder so was.«
»Nein, Janet. Es war kein Date.« Plötzlich war Ann zum Heulen zumute, und sie wusste nicht, warum.
»Ich bin froh, dass Sie nicht schlimm verletzt sind. Wirklich.«
»Wie rührend.« Ann versuchte, sich zu erinnern, wie viel Geld sie auf der Bank hatte. Höchstens sechs- oder siebentausend; das würde in L . A . nicht lange reichen.
»Also«, sagte Cherrys Mutter, »wir sind uns doch einig, oder? Alles in Butter?«
Ann streckte die Hand aus und zwickte ihre Arbeitgeberin in die zweimal nachgebesserte Nasenspitze. »Ich hab’s satt, Ihre durchgeknallte Tochter zu spielen. Ich will mein eigenes vida loca haben.«
»Nach der Tournee«, quakte Janet Buntermann.
Obgleich Bang Abbott mit einem eher schlaffen Gewissen gesegnet war, verspürte er doch gelegentlich Anflüge von Reue ob seiner Rolle bei dem unglücklichen Badeunfall von Terence Hughes, einem Kieferorthopäden aus Montreal, der vier Tage Urlaub mit seiner Familie in Florida geplant hatte. Hughes war kein unvorsichtiger Mensch, und er hatte nichts getan, um das zu verdienen, was ihm passierte. Es hatte an jenem Sonntagmorgen keine Haiwarnung am Clearwater Beach gegeben; nichts, woran ein Besucher hätte erkennen können, dass ein Schwarm hungriger Zitronenhaie mit einem Eimer voll stinkender Barschinnereien in die Nähe des Strandes gelockt worden war.
Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn er sich über den Vorfall äußerte, betonte Bang Abbott stets, er habe niemals beabsichtigt, dass jemand zu Schaden kommen sollte. Das Foto, auf das er aus gewesen war und das er anschaulich im Sucher seiner Fantasie arrangiert hatte, war das Abbild eines urweltlichen Chaos – bleiche Unschuldige, die scharenweise in blankem Entsetzen aus der grünen Brandung flüchteten, während hinter ihnen eine dunkle Rückenflosse aus dem Schaum emporragte. Bang Abbott liebte Filme, und Der weiße Hai war einer seiner Lieblinge gewesen. Es gab nichts Unwiderstehlicheres im Fotojournalismus, als einen Augenblick der nackten Angst festzuhalten, und das war das Bild, auf das Bang Abbott es abgesehen hatte. In Zentrum seines Traumfotos hatte er sich eine junge Mutter mit wild entschlossenem Blick vorgestellt, die mit einem Kleinkind unter jedem Arm mühsam aus dem Wasser floh. Im Notfall hätte er sich allerdings auch mit um sich schlagenden Teenagern zufriedengegeben, oder sogar mit ein paar tattrigen Rentnern.
Als Vorbereitung auf sein Meisterstück hatte Bang Abbott sich auf den Charterdocks herumgetrieben und sich bei ein paar Schiffsführern aus der Gegend eingeschleimt. Diese hatten ihm erzählt, dass sich zu bestimmten Jahreszeiten große Schwärme von Zitronen- und Schwarzspitzenhaien in den flachen Gewässern des Golfs tummelten; Angriffe auf Menschen seien jedoch ziemlich selten. Für gewöhnlich folgten die Haie dem Zug ihrer Beutefische und hatten keinen Appetit auf Leckerbissen, die größer waren als eine zweipfündige Meeräsche. Bang Abbott erkundigte sich, ob man die Tiere anlocken könnte – nur zu Sportfischereizwecken natürlich –, und die Charterkapitäne meinten, das sei ganz leicht. Man brauche nur blutiges Fischfleisch ins Wasser zu schmeißen.
Also hatte Bang Abbott eines Samstagabends unter dem Vorwand eines Angelausfluges (für eine Flasche Jim Beam) einen Rieseneimer stinkender Barschköpfe und -innereien vom Maat eines Bootes mit dem Namen Master Baiter IV erstanden. Am nächsten Morgen war er kurz nach Tagesanbruch zum Wasser gegangen und hatte sich einen Strandabschnitt ausgesucht, von dem er wusste, dass er bei Familien beliebt war. Nach einigen ekligen Versuchen war es ihm gelungen, die Fischstücke in ein großes Netz zu stopfen, das er in einer Wassertiefe von etwa anderthalb Metern am sandigen Grund festpflockte. Dann watete er wieder ans Ufer, brachte Teleobjektive an zwei seiner Kameras an und setzte sich hin, um zu warten, während die Ebbe begann und den unwiderstehlichen Gestank in den Golf hinaustrug.
Terence Hughes war um halb neun mit seiner Frau und den drei Kindern zum Strand gekommen, die alle keine große Lust an den Tag legten schwimmen zu gehen. Vielleicht ein Dutzend andere Touristen planschten vor dem Strand herum, als Hughes mit Flossen und einer schlecht sitzenden Taucherbrille allein ins Wasser platschte. Zu diesem Zeitpunkt hatte Bang Abbott eine seiner Nikons bereits auf einem
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