Sternen Stroemers Lied - Unter dem Weltenbaum 02
Axis konnte ihn kaum noch verstehen. »Erlernt die Geheimnisse … und Mysterien der Wasserwege … und bringt mich heim … Ich warte am Tor … Führt mich heim … zu Abendlied … versprecht es mir …«
Der Krieger nickte. »Das gelobe ich Euch.« Er schwankte unter dem plötzlichen Gewicht, als Freierfall in seinen Armen starb. Selbst wenn Axis die Zeit gefunden hätte, ihm das Lied der Genesung zu singen, hätte das nichts mehr genützt. Der Prinz war tödlich verwundet worden.
Nach dem Meuchelmord an seinem Vetter wurde der Wunsch nach Rache so übermächtig in Axis, daß er sogar an einen Bruderkrieg dachte. Dem Krieger war zwar noch nie zuvor die Idee gekommen, daß er aufgrund seiner Herkunft die Macht im Reich an sich reißen könnte. Doch nun, da Freierfall tot in seinen Armen lag, und angesichts Bornhelds entsetzlichem Mord begann diese Vorstellung plötzlich in ihm Gestalt anzunehmen. Wenn Priam und der Oberste Kriegsherr sich weigerten, sich mit den Ikariern und Awaren zu verbünden, um Gorgrael zu schlagen, dann fühlte der Axtherr sich jetzt um so mehr bereit dazu, auch gegen diese beiden zu kämpfen; wenn nötig, das ganze Land in einen Bürgerkrieg zu stürzen.
Er ließ den Toten sanft zu Boden gleiten, berührte kurz zum Segen dessen Stirn und wünschte, er hätte diesen Mann Jahre gekannt und nicht nur ein paar Minuten. Danach erhob sich Axis und blickte seinen Bruder an. In diesem Moment wußten beide, daß nur der Tod des anderen ihnen Frieden bringen würde. Während sie sich solcherart anstarrten, entging ihnen, was sich hinter ihnen tat.
In dem Moment, in dem Bornheld zugestoßen hatte, hatte Belial Suchauge am Arm gepackt und ihn aus der Gefahrenzone gerissen. »Hört mich an!« flüsterte er dem Ikarier eindringlich zu. »Hört, was ich sage: Ich bringe den Axtherrn zum Fuß der Alpen, damit Ihr ihn dort mitnehmen könnt. Habt Ihr verstanden?«
Der Vogelmensch, der vor Entsetzen erstarrt verfolgt hatte, wie der Herzog die Klinge aus dem Rücken des Prinzen zog, nickte leise, und so fuhr der Leutnant fort: »Könnt Ihr Euch dort mit ihm treffen? Könnt Ihr, Luftkrieger? Oder soll Freierfall ganz umsonst gestorben sein?«
Jetzt endlich sah Suchauge ihn an. Wieder nickte er, und man merkte ihm an, daß er nun begriff, was Belial von ihm wollte. »Dann fliegt fort, verdammt nochmal. Flieht, ehe der Herzog auch Euch ermorden kann!« Der Leutnant versetzte ihm einen Stoß. »Fort von hier!« Aber der Ikarier konnte den Blick nicht von seinem Prinzen losreißen. Belial schüttelte ihn heftig: »Ihr könnt nichts mehr für ihn tun! Freierfall ist tot! Nun fliegt doch endlich, und behaltet den Fuß der Berge im Auge, bis Axis dort auftaucht!«
Nun wandte Axis’ Stellvertreter sich an den dritten, der ebenfalls wie erstarrt dastand. »Ihr müßt auch fort!« drängte Belial. »Hier kann ich nichts mehr für Euch tun!«
Die beiden Vogelmenschen spreizten ihre Flügel und stießen sich vom Turmdach ab. Die Soldaten hinter Bornheld bemerkten die Flucht und hoben ihre Bögen. »Halt!« befahl Magariz, der jetzt aus seiner Erstarrung erwachte. »Die Pfeile herunter. Laßt sie fliegen.« Zögernd gehorchten die Männer und sahen zu, wie die beiden Ikarier sich in Richtung der Eisdachalpen entfernten.
Axis und der Herzog starrten sich immer noch an. Irgendwann fing Bornheld an zu lachen, beugte sich über Freierfall und wischte die blutige Klinge an seinem Gefieder ab.
»Ihr werdet Euch bis später gedulden müssen, Bruder«, erklärte er dem Axtherrn. »Nun, da ich einen dieser elenden Unaussprechlichen erledigt habe, bin ich in viel zu guter Laune.«
Der Krieger hatte große Lust, Bornheld jetzt gleich zu erschlagen. Mit einem Schwertstreich könnte er Erde und Menschen für immer von diesem Unhold befreien. Aber ach, Freierfall, wenn ich zu den Ikariern und Sternenströmer fliehe, muß Bornheld am Lehen bleiben; denn wer sonst sollte Faraday beschützen? Mir sind die Hände gebunden … aber eines Tages …
»Eines Tages werdet Ihr für das bezahlen, Herzog, was Ihr hier angerichtet habt. Ich schwöre, Euch im Zweikampf für den Mord an meinem Vetter Freierfall zu töten. An diesem Tag wird Eure Leiche auf den Abfallhaufen des Königreichs Achar landen. Nur die Krähen werden dann noch – und nur des Fleisches wegen – dem Herzog von Ichtar huldigen, und kein Troubadour soll Euch mehr mit süßen Worten und einschmeichelnden Balladen preisen. Priam hat zwei Erben, Bruder, Euch und mich,
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