Sternen Stroemers Lied - Unter dem Weltenbaum 02
Gesicht, sagte aber nichts.
Grindel beugte sich nun vor: »So sprecht, Goldfeder, was ist mit Euch?«
Sie brauchte eine Weile, um sich wieder etwas zu beruhigen. Einige Awaren, vor allem Zaubererpriester, wußten, daß Goldfeder aus einer hochgeborenen acharitischen Familie stammte, aber niemand hatte Kenntnis von ihrer Vergangenheit oder ihrem früheren Namen. Sie hatte vollständig mit ihrem Vorleben gebrochen, als sie zu den Ikariern gegangen war, um bei ihnen zu bleiben … Und nun Bornheld. Ausgerechnet. Bis zu diesem Tag hatte sie seit fast dreißig Jahren kaum noch an ihn gedacht. Aber dann hatte Goldfeder zuerst den Axtherrn gesehen und schon geglaubt, Bornheld stecke in der Uniform. Zwar hatte sie ihren Irrtum erkannt, aber jetzt wurde sie schon wieder an diesen Namen erinnert. Das konnte nicht nur Zufall sein. Wollte die Prophezeiung sie ebenfalls in ihre furchteinflößenden Verwicklungen einbeziehen?
»Ich kannte einmal Bornhelds Vater«, brachte Goldfeder schließlich mühsam hervor und setzte gleichzeitig ein mattes Lächeln auf, um die Anwesenden davon zu überzeugen, daß es ihr gut ging. »Ein harter und humorloser Mann, der sich in seiner Rüstung, mit einer Waffe in der Hand und vor Feinden am wohlsten fühlte. Höflichkeiten, Nettigkeiten, Komplimente und dergleichen hielt er für pure Zeitverschwendung. Ich kann mir gut vorstellen, daß Bornheld nach seinem Vater geraten ist. Die Weissagung bewegt sich wirklich auf verschlungenen Pfaden.« Und schon wieder wird die Herzogin von Ichtar zu einer wahren Freundin der Unaussprechlichen, fügte sie in Gedanken hinzu.
Ramu sorgte sich, weil sie aschgrau im Gesicht geworden war. Dabei hatte er seinen Gefährten doch noch einiges mehr mitzuteilen. Neuigkeiten, die bei ihnen noch mehr Verwirrung und Furcht hervorrufen würden.
»Meine Freunde, die Nachricht von der Baumfreundin ist nicht einmal die absonderlichste Sache, von der ich Euch berichten will. Ihr wißt bereits, daß Schra und ich von den Dorfbewohnern Smyrdons gefangengenommen wurden. Wir verbrachten vier Tage unter unwürdigsten Bedingungen in einer Zelle. Schra war bald dem Tode nahe.« Pease erschrak zutiefst und drückte das kleine Mädchen an sich, das mittlerweile erwacht war und den Erzählungen des Priesters lauschte. »Am Nachmittag des vierten Tages führten die Bürger den Axtherrn des Seneschalls zu uns. Schra hätte zu dieser Zeit kaum noch eine Stunde zu leben gehabt.«
Die Zaubererpriesterin wirkte so unruhig, als wolle sie etwas sagen und Ramu mit Fragen überschütten, aber er brachte sie mit einer erhobenen Hand zum Schweigen. »Nein, Barsarbe, laßt mich erst beenden, was ich Euch zu sagen habe. Ich hielt das Mädchen in den Armen und sah, wie der Axtherr in die Zelle trat und auf uns zukam. In diesem Moment fürchtete ich, unser letztes Stündlein habe geschlagen … Aber statt dessen bat er darum, Schra halten zu dürfen.«
»Und das habt Ihr zugelassen?« schrie Pease voller Empörung.
»Bitte, Ihr wart nicht dabei. In den Augen des Axtherrn entdeckte ich keinen Haß, sondern Mitgefühl. Also habe ich ihm das Mädchen gegeben. Er hielt sie für einen Moment, und dann … dann fing der Axtherr des Seneschalls an, der Mann, den wir mehr als alles andere zu hassen gelernt haben, ihr das Genesungslied zu singen. Vor meinen Augen hat er Schra geheilt.«
Damit hatte nun wirklich keiner gerechnet. Niemand wußte etwa dazu zu sagen, und alle betrachteten unsicher den Priester und das Mädchen.
»Meine Freunde, er sang dieses Lied mit solch inniger Kraft, wie ich es noch von keinem ikarischen Zauberer vernommen habe. Nicht einmal von ihrem stärksten, Sternenströmer. Im Körper des Axtherrn des Seneschalls wohnt die Seele eines ikarischen Zauberers!«
Goldfeder riß ungläubig ihre Augen auf und mußte an sich halten, um sich nicht von dem überwältigen zu lassen, was ihr nun bewußt wurde. Sie begriff jetzt, warum Axis ihr so bekannt vorgekommen war. Das lag nicht allein an seiner Ähnlichkeit mit König Priam. Der Axtherr besaß vielmehr die Knochenstruktur und die Augen eines Ikariers. Und was sie zunächst für Überheblichkeit, geboren aus der Verbohrtheit des Seneschalls, gehalten hatte, entpuppte sich nun als das übliche Gebaren eines ikarischen Zauberers. Ein verrückter Gedanke entstand in ihr, eine so abwegige Vorstellung, daß sie sie um den Verstand zu bringen drohte. Goldfeder unternahm alle Anstrengungen, diesen Gedanken in den verhüllten Teil ihres
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