Sternen Stroemers Lied - Unter dem Weltenbaum 02
beladen und tragen ausreichend Verpflegung. Die Rösser sind getränkt, die Waffen gereinigt, und alles ist aufbruchbereit.« Und etwas später fügte er hinzu: »Und das schon seit einer halben Stunde.«
Axis sah zu ihm hinunter. »Worauf wartet Ihr dann noch, Leutnant? Forsch aufgesessen!« Er drehte Belaguez herum, um sich an seine Männer zu wenden. »Axtschwinger, seid ihr bereit?« rief er mit seiner lauten und weithin vernehmbaren Stimme.
Aus der Senke erhob sich aus vielen tausend Kehlen die Antwort: »Wir vernehmen Eure Stimme, Axtherr, und sind bereit!«
»Dann laßt uns aufbrechen!« rief der Krieger, und die Soldaten antworteten ihm mit Gebrüll, während sie ihre Pferde wendeten und dem Schicksal entgegenritten, das in Gorken auf sie warten sollte.
6 R IVKAH ERWACHT
Der Klan wanderte mehr als zehn Tage durch Awarinheim nach Norden und über die Waldpfade, die den Nordra säumten, der hier von den Eisdachalpen nach Süden floß. Grindel und sein Sohn hatten aus den abgestorbenen Ästen eines Zeitholzbaums, den sie aus dem Strom gefischt hatten, einen leichten, aber stabilen Schlitten gebaut. Jeden Morgen, wenn es weiterging, bezog Ramu mit ihrer Hilfe seinen Platz auf den zusammengepackten Lederzelten. Während des Marsches wechselten der Häuptling und Helm sich damit ab, den Schlitten zu ziehen. Trotz seiner Jugend besaß er schon große Körperkraft.
Die gut begehbaren Wege und das milde Wetter ließen den Zug gut vorankommen. Die Klans pflegten auf ihren Reisen die Wege von abgestorbenem Holz und alten Blättern zu reinigen, damit diejenigen, die nach ihnen kamen, mühelos vorwärtskamen. Als Aschure einmal fragte, warum die vorzeitige bittere Winterkälte und die eisigen Winde, die Achar umklammerten, sich nicht auch in Awarinheim auswirkten, lächelte Goldfeder rätselhaft und antwortete, daß der Wald die Awaren vor dem grimmigsten Winter beschützte. »Die Bäume haben ihre eigene Macht«, fügte sie hinzu, »auch wenn sie in diesen Zeiten meist ruht.«
Während der Reise lernte die Menschenfrau von Fleat und Pease einiges über das Leben der Pflanzen in Awarinheim. Aus der Rinde des Alefenbaums zum Beispiel ließ sich ein erfrischender und anregender Tee zubereiten. Die Borke des Bärfußbaumes konnte getrocknet und so bearbeitet werden, daß daraus Körbe, Matten und haltbare Sohlen für Schuhe hergestellt werden konnten. Im Schatten der Nadelbäume wuchsen die unterschiedlichsten Büsche und Kräuter, deren Blätter die Awaren für unzählige Bedürfnisse nutzten. Aschure, die nur das Leben auf der Seegrasebene kannte, wo nur Getreide und Gemüse wuchsen, kam kaum noch aus dem Staunen heraus. Sie erfreute sich an allen neuen Entdeckungen, die buchstäblich nach jeder Wegbiegung auf sie warteten. Die Awaren sammelten zum täglichen Nahrungsbedarf Beeren, Knollen, Früchte des Waldes, Nüsse und gelegentlich eine der Ranken, die sich von den Wipfeln im Laubdach herabschlängelten – aber nur, wenn sie tief genug hing, daß die gelenkigsten Kinder an sie heranreichen konnten. Die Blätter dieser Lianen wurden zu einem Brei zerkocht und dem Malfarimehl als Mittel zum Süßen beigegeben. Aschure wußte zwar, daß die Klankinder ausgezeichnet klettern konnten, aber ihr blieb trotzdem regelmäßig das Herz stehen, wenn sie zusah, wie Skali oder Hogni sechzig oder achtzig Ellen hoch an den Stämmen hinaufkletterten, um eine der köstlichen Ranken zu erreichen.
Die Awarenfrauen wiederum zeigten sich sehr angetan von Aschures hellblauem Kleid, das sie aus Schafwolle gewoben hatte. Das Waldvolk hielt zwar auch ein paar Ziegen und Schafe des Fleisches, der Milch und der Häute wegen und verstand sich auch darauf, aus Ziegenhaaren und Schafwolle Stoffe herzustellen. Aber die Achariten hatten viel aufwendigere Webtechniken, und deswegen fühlte sich Aschures Kleid viel weicher und auch ganz anders an. Als die Menschenfrau die Wünsche der beiden bemerkte, tauschte sie ihre Sachen gern gegen ein awarisches Hemd und eine Hose ein, weil man sich darin im Wald viel besser bewegen konnte. Als sie dann die dunkelrote Hose und das oberschenkellange graue Hemd anzog, dessen Saum mit dem Muster des Klans bestickt war, fühlte sie sich, als habe sie damit ihr altes Leben in Smyrdon abgelegt und ein neues begonnen. Fleat und Pease zeigten sich hocherfreut von dem Tausch. Aus dem blauen Kleid ließen sich leicht zwei lange Hemden und noch einige Sachen für die Kinder anfertigen. Sie selbst trugen keine langen
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