Sternen Stroemers Lied - Unter dem Weltenbaum 02
Auf seine Weise hatte er Rivkah geliebt, und da er ihr durch sein Schweigen helfen konnte, hatte er das mit Freuden getan.
Der Krieger schwieg, um Reinald Gelegenheit zu geben, seine Gefühle und Gedanken zu ordnen. Wenn er weitererzählen mochte, dann würde er das auch tun. Und wenn nicht, dann eben nicht. Wie auch immer, Axis war froh, dem ehemaligen Koch hier begegnet zu sein. Durch dessen Erinnerungen konnte er zu seiner Mutter vordringen, die er nie kennengelernt hatte.
»Searlas war so … so hart. Rivkah kam als junge Frau hierher, kaum dem Mädchenalter entwachsen. Vor allem anderen suchte sie Liebe und Lachen, beides Dinge, die der Herzog ihr nicht geben konnte.« Reinald schwieg wieder. »Ich lernte zu warten … vor der Tür zum Turm … weil ich sie nicht stören wollte … Erst wenn sie geruhte, mich zu rufen … Manchmal mußte ich Stunden warten, bis das Essen nicht mehr genießbar war … Meist habe ich die Küchenjungen dann fortgeschickt …« Er drehte sich zu dem Krieger um. »Ich habe Euren Vater nie gesehen, Axtherr. Aber ich hörte ihn sprechen und singen. Er besaß eine so schöne Stimme, daß ich ihm endlos lange zuhören konnte.« Der Alte lächelte bei dieser Erinnerung. »Euer Vater konnte der Herrin Liebe und Lachen geben. Fast acht Monate lang kam er beinahe täglich und blieb für Stunden. Wer er war? Ich kann es Euch beim besten Willen nicht sagen. Ich weiß noch nicht einmal, wie er hier hinauf aufs Dach gelangte. Wenn ich unten wartete, ist niemals jemand an mir vorbeigekommen.«
Axis nickte langsam und war mit seinen Gedanken längst woanders. Dies hier mußte im Sommer ein wunderbarer Ort sein. Die Urqharthügel ganz in der Nähe und die Alpen im Hintergrund. Während der vergangenen Tage hatte Ogden ihm allerlei über die geflügelten Ikarier berichtet. War sein Vater, der ikarische Zauberer, etwa von dem Hochgebirge hierher geflogen? Oder hatte er ein Versteck in den Urqharthügeln gehabt? Dem Krieger gefiel die Vorstellung, daß seine Mutter bei dem Zauberer ihr Glück gefunden hatte. Eine fröhliche Melodie ging ihm durch den Kopf. Er summte sie leise vor sich hin und genoß die Art, wie sie ihm in den Mund floß. Als Axis seine Augen schloß, spürte er die Sonnenwärme auf seinen Wangen und roch den Duft der Kletterrosen, die in den warmen Monaten bis zum Dach des Bergfrieds hinaufrankten. Deshalb merkte er nicht, daß dem alten Koch vor Erstaunen der Mund offenstand.
»Sternenströmer!« rief eine junge Frau, und die Liebe ließ ihre Stimme dunkel klingen. Axis öffnete die Augen wieder. Sonnenlicht überflutete das Dach, und vor ihm stand eine wunderschöne junge Frau, die vor Vergnügen lachte und die Hände nach ihm ausstreckte. »Sternenströmer, Ihr sagtet doch, Ihr könntet heute nicht kommen.« Sie trug ein lavendelfarbenes loses Gewand aus Leinen und war barfuß. Axis erkannte, daß sie schon seit mehreren Monaten schwanger sein mußte. Das lange kastanienrote Haar floß über ihren Rücken und bewegte sich leise in der Brise. Die Frau trat einen Schritt auf ihn zu und streckte flehentlich die Hände aus. »Sternenströmer, seid Ihr es wirklich?« fragte sie mit gerunzelter Stirn. »Was tragt Ihr denn da für ein Gewand?« Sie wirkte nun völlig verwirrt.
Axis bewegte sich mit ausgestreckten Armen auf sie zu, und Tränen rannen über seine Wangen. »Mutter?«
Die Szene wurde undeutlich, und Rivkah fuhr vor ihm zurück. »Wer seid Ihr?« flüsterte sie und legte schützend eine Hand auf ihren hohen Leib. Das Bild zitterte heftiger, fiel in sich zusammen und löste sich auf.
»Mutter!« rief der Krieger und eilte auf die Stelle zu, wo sie eben noch gestanden hatte. Doch jetzt fegte nur noch kalter Wind über das Dach, und der Rosenduft war verschwunden. »Habt Ihr das auch gesehen?« fragte er verwirrt den Koch.
Aus Reinalds Gesicht war alle Farbe gewichen. »Ja, Axtherr, ich habe es gesehen. Das war Rivkah, Eure Mutter.«
Der Krieger drehte sich schnell um, weil er hoffte, sie wäre irgendwo anders hingetreten. Aber das Dach war leer, und ihm schossen die Tränen der Enttäuschung in die Augen. Reinald trat zu ihm und legte ihm die Hände auf die Arme. »Axis, Ihr seid wahrhaftig der Sohn Eures Vaters. Seht her.« Reinald griff in sein Gewand und zog eine Kette heraus, an der ein Ring hing. Er zog die Kette über seinen Kopf und hielt sie dem Krieger hin. Axis wischte sich die Tränen fort und betrachtete den Reif.
»Euer Vater hat der Herrin diesen Ring
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