Sternenfaust - 113 - Abgrund des Geistes
Einstellungen. Emma konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, als mache der ältere Mann dies heute nicht zum ersten Mal – und das Ergebnis seiner Mühen unterschied sich, sofern ihr Laienblick dies beurteilen konnte, in keinster Weise von der Ausgangslage. Sind wir ein wenig übervorsichtig, Doc? , dachte sie amüsiert.
»Alles bereit«, sagte McAllister, als er Emmas Blick bemerkte. »Von uns aus kann’s losgehen. Dr. Kremer hat uns Ihre Akte, die nötigen Medikamente und die entsprechende Dosierungsanleitung zukommen lassen, und nach genauer Studie seiner Unterlagen kann ich Ihnen versichern, dass ich seine Ansichten teile: Die Behandlung sollte ausreichen, um die Anzahl der Spiegelneuronen im Sprachzentrum Ihres Gehirns zu reduzieren und auch den Wert der Neurotransmitter zu verringern – beides sind ihm zufolge die Ursachen Ihres Leidens. Ihr Gehirn, meinte Kremer, kann diesen Überschuss einfach nicht verarbeiten.«
Emma nickte. »Das hat er mir auch gesagt.«
»Das Ganze triggert Ihre telepathische Gabe, und die Kopfschmerzen, die Sie verspüren, sind ein unangenehmer Nebeneffekt«, fuhr er fort. Als er den Blickwechsel der beiden jungen Frauen bemerkte, unterbrach der Mediziner seinen Monolog. »Aber ich schätze, dass wussten Sie bereits.«
Emma nickte und bemühte sich, ein Lächeln zu unterdrücken, das ihr auf der Zunge lag. Irgendwie knuffig, dieser Chefarzt. So eifrig und bemüht.
»Jetzt muss ich aber wirklich«, schaltete sich Frida erneut in die Unterhaltung ein. Sorgenvoll blickte die Novizin auf ihren Chronometer. »Sonst fliegt der Gleiter ohne mich. Wir sehen uns später, ja?«
Abermals drückte sie Emma fest, dann wandte sie sich zum Gehen. Als sie an der Tür angekommen war, drehte sich Frida noch einmal um und warf der Pilotin einen verschwörerischen Blick zu. »Und dann erzählst du mir den neuesten Stand über dich und diesen schicken Mechaniker, den du dir da geangelt hast. Verstanden, junge Frau?«
»Aye, aye, Ma’am«, sagte Emma, stellte sich gerade hin und salutierte. Als Frida durch den Korridor zum Ausgang lief, sah Emma ihr noch nach.
Es war schön, zu wissen, dass sie hier nicht allein war.
*
Wo begann Schuld, und wo endete persönliches Unvermögen?
William Beaufort wusste es nicht, und nun, während das Sonnenlicht langsam hinter den Kraterwänden von Sirius III verschwand, fürchtete er sich davor, länger über diese Frage nachzudenken.
Es gab viele Dinge, die William Beaufort an seiner Wahlheimat schätzte, doch dieses gehörte zu den ihm wichtigsten: Es wurde hier nie richtig dunkel. Am Tag erhellte die Sonne den dreißig Kilometer tiefen St.-Garran-Krater und vertrieb Schatten genauso wie düstere Gedanken. Jedenfalls meistens. Und wenn sich das Kloster der Christophorer auf der Nachtseite des dritten Planeten des Alpha Canis Majoris-Systems befand, erstrahlte die karge Kraterlandschaft im blassgoldenen Schein der beiden Monde, die um ihn kreisten. William nannte sie »Nachtwächter« und war den Trabanten insgeheim dankbar dafür, der Finsternis so wenig Raum zu gewähren. Er wünschte, ihr Licht wäre stark genug, um auch in seinen Geist zu dringen.
Die Unterrichtsstunde war gut verlaufen, weit besser, als er unter den Umständen erwartet hatte. Abbos Tod lastete auf der Stimmung aller Klosterbewohner, seien es Mönche oder Novizen, und insbesondere Frida, der jungen Schülerin von Luytens Stern, hatte William angesehen, wie sehr sie unter dem Erlebten litt. Aber er hatte es nicht angesprochen, hatte es nicht gekonnt.
Frida war nicht in der Nähe gewesen, als Mauritio starb, das wusste er. Sie hatte ihre Dämonen, William die seinen. Jetzt, da er darüber nachdachte, fiel ihm ein interessantes Detail ein: Zwar war Luytens Stern eine Sonne, doch Sindri, ihr vierter und einzig besiedelbarer Planet, bekam nur wenig Licht und Wärme von ihr ab. Hatte auch Sindri »Nachtwächter«, also einen Mond, oder lebte man in Fridas Heimat in Dunkelheit? Letzteres war eine Alternative, die William in seiner momentanen Gemütsverfassung schaudern ließ.
Er seufzte frustriert auf und rutschte unruhig auf dem glimmer-haltigen Sitzstein hin und her. Was war nur mit ihm los? So sehr er sich heute auch anstrengte, gelang es ihm nicht, seinen Geist unter Kontrolle zu bekommen. Immer wieder schweiften seine Gedanken in Gegenden ab, die William bewusst nie besucht hätte. Was hatte die Dunkelheit auf Sindri mit dem Zen-Garten des Christophorer-Klosters zu tun, in dem
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