Sternenfaust - 120 - Die Welten der Erdanaar
Verfasst von Izanagi Narada.
… dauerte es einige Zeit, bis es Turanor gelang, mir die sozialen Strukturen der Erdanaar zu vermitteln. Ich musste mir erst vor Augen führen, dass Privatheit, so wie wir sie kennen, keine Kategorie für die Erdanaar darstellt. Dieses Volk lebt in einem mentalen Verbund, der sich annähernd mit einem Bild von konzentrischen Kreisen beschreiben lässt. Die kleinsten Zirkel stellen Familien, Unterweisungs- und Arbeitsgruppen dar. Diese Zirkel werden umfasst von größeren Kreisen, die durch solche Erdanaar geprägt werden, die sich im besonderen Maße für Leitungs- und Strukturierungsaufgaben eignen. Das höchste Gremium auf Helemaii’nu ist der Planetenrat, der sämtliche Kreise einschließt und auf diese Art mit jedem einzelnen Bewohner verbunden ist. Die Planetenräte wiederum – die Erdanaar haben sich über viele Systeme verbreitet – werden umfasst vom Rat des Allvolks der Alendei. Dessen Repräsentant erhält den Titel Ältester seines Volkes. Ich durfte ihn kennenlernen. Es ist Turanor.
Obschon das Leben der Erdanaar durch einen geistigen Verbund geprägt ist, besitzen sie die Fähigkeit, sich mental abzuschotten. Dies passiert aber eher selten und dann auch nur für kurze Zeit. Tatsächlich beginnen sie sich in der Isolation sehr schnell unwohl, geradezu elend zu fühlen. Turanor erklärte mir, dass diejenigen Individuen, die sich auf Dauer isoliert hätten, als krank betrachtet werden und bemitleidet würden. Man kann sich leicht vorstellen, wie fremd – und leider auch primitiv – das Volk der Menschen auf die Erdanaar wirken muss. In ihren Augen dürften wir nicht nur taub sondern auch leidend sein, da ein jeder vom anderen getrennt ist.
Es dauerte einige Zeit, bis ich verstand, dass die fehlende – und in keiner Weise vermisste – Privatheit zu einer besonderen sozialen Interaktion führt. Für uns, die wir Neid und Missgunst, Intrige und Subversion kennen, mutet das Gesellschaftsleben der Erdanaar sehr harmonisch an. Es ist einem Alendei nur schwer möglich, sich »mental zu verstecken«. Er will dies auch gar nicht, da er seine Lebenskraft aus dem geistig-seelischen Verbund zieht.
Die von Kindesbeinen an bestehende telepathische Gemeinschaft zeigt jedem Angehörigen auf unmittelbare Weise die Kraft und Befähigung der anderen seines Zirkels. Diese Wahrnehmung von Unterschieden haben schon die sehr jungen Erdanaar in der Zeit ihrer Unterweisung. Da diese Unterschiede nun für jeden deutlich und unleugbar sind, hat sich, so meine Vermutung, die mir von Turanor berichtete klaglose Einordnung in das hierarische System der Erdanaar entwickelt. Jeder Alendei fügt sich entsprechend seiner Gaben und Befähigungen in das System ein – und dies nicht bloß klaglos sondern meistens freudig. Die Schwächeren sind im Allgemeinen dankbar dafür, die Besten als ihre Führer zu haben, während diese die Führung als Pflicht für ihr Volk begreifen.
Hiermit sind aber die Entscheidungsprozesse bei den Erdanaar noch nicht vollständig beschrieben. Wobei ich gleich anmerken möchte, dass sie für uns wahrscheinlich niemals vollends begreifbar sein werden. Das, was ich hier niederlege, sind größtenteils Auslegungen dessen, was mir Turanor übermittelte. Vieles blieb hierbei kryptisch und ist vermutlich nicht bis ins letzte Detail verstehbar.
Die »natürliche Aristokratie« bei den Erdanaar ist keinesfalls eine solche, die sich in einem diktatorischen Führungsstil zeigte. Die Entscheidungen, die in jedem Zirkel zu fällen sind, ergeben sich in einer Folge von mentalen Rückkopplungen. Der Lotse eines Zirkels ist ohne die Unterstützung der Seinen hilflos, während diese ihn zur Kanalisierung eines gemeinschaftlichen Willens benötigen. Der Lotse hat im Prozess der Entscheidungsfindung natürlich ein großes Gewicht, aber er entscheidet niemals autonom. Das Ende eines Entscheidungsprozesses wird in aller Regel durch einen Konsens markiert. So kann man vielleicht sagen, dass sich im Gesellschaftssystem der Erdanaar demokratische mit »aristokratischen« Elementen mischen.
Im Gesamtblick ist der Konservatismus der Alendei auffallend und bildet möglicherweise einen Schwachpunkt dieses Volkes. Seine Mentalität, sich dem Ganzen unbedingt einzufügen und das Heil in einer dienenden Funktion zu sehen, erstreckt sich bis zu seiner Beziehung zu den Basiru-Aluun. So selbstverständlich sich die schwächeren Erdanaar unterordnen, so bereitwillig empfinden sich die führenden
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