Sternenfaust - 139 - Jagd auf Nickie Berger
an ihr vorbei, mentale Momentaufnahmen aus den Schicksalen der diversen Passanten. Sie strengte sich an, bahnte sich einen Weg durch den Wust an verschiedenen Reizen – und fand ihn schließlich.
Stefan Paschulke. Achtunddreißig Jahre alt. Verheiratet. Gebürtig aus Brandenburg, Deutschland. Absolvent einer Eliteuniversität.
Sein Geist war wie ein offenes Buch, in dem sie nun nach Herzenslust blättern und sich die Informationen nehmen konnte, die sie wollte. Lieblingsessen, Lieblings-Sim-Spiele, sexuelle Vorlieben, heimliche Sehnsüchte, Enttäuschungen: Nichts blieb ihr verborgen. Auch nicht sein Beruf.
»Roter Adler an Alter Bär. Erbitte Personenüberprüfung. Dringend.«
Es rauscht leise in dem Gerät in seiner Hand. Dann erschien ein weibliches Gesicht auf dem kleinen Display. »Beschreibung?«
Und Paschulke lieferte. Mit wenigen Worten beschrieb der Brandenburger die Frau, die ihn gerade hatte stutzig werden lassen und bat darum, den Steckbrief noch einmal sehen zu dürfen, den New York heute Morgen veröffentlicht hatte.
»Kann sein, dass ich mich irre«, sagte er leise. »Aber ich glaube, sie war es. Berger.«
Die Frau auf dem Monitor nickte knapp und betätigte ein paar Schalter im Off. Dann verschwand sie – und Nickie, die die Szene durch die Augen Paschulkes live miterlebte, sah sich selbst auf seinem Komm-Gerät. Ihr eigenes Gesicht.
Paschulkes Puls beschleunigte sich. Fieberhaft sah er sich um, sondierte die Menschenmasse, die ihn umgab, mit Blicken. Sie war es! Er hatte sich nicht geirrt! Er hatte Nickie Berger gefunden, die Rebellin von der STERNENFAU …
Dass Nickie ihn manipulierte, merkte der Deutsche gar nicht. Ein leichtes Zögern nur, dann hatte er seine Überzeugung verloren.
»Und?«, fragte die Frau, als sie wieder auf dem Display erschien. »War sie’s?«
»Negativ«, antwortete Paschulke. »Sie sah ihr ähnlich, aber sie war es nicht.« Er ließ die Schultern hängen. »Roter Adler, Ende.«
Die Frau lächelte warmherzig. »Verstanden, Roter Adler. Besser einmal zuviel reagiert als einmal zu wenig.« Dann trennte sie die Verbindung.
Nickie zog sich wieder aus dem Geist des Agenten zurück und öffnete die Augen. Eine gewaltige Anspannung fiel von ihr ab. Das war verflucht knapp gewesen. Zu knapp.
Sie musste wirklich aus dieser Stadt verschwinden.
Bis zu Diaz geheimem Versteck waren es noch knapp hundert Meter durch die unterirdische Bahnstation. Nickie Berger senkte den Kopf, zog die Mütze noch tiefer ins Gesicht und drängte sich an den Massen vorbei, ihrem Ziel entgegen.
Stefan Paschulke setzte seinen Tag fort, als wäre nichts gewesen.
*
Es war nicht einfach gewesen, inmitten von all den Lebewesen unterzutauchen, doch die Tür war genau zu diesem Zweck dort. Ein weißer, stets verschlossener Durchgang in einer entlegenen Ecke einer großen U-Gleiter-Station. Wer ihn sah, hielt ihn für den Eingang zu einem Service-Schacht. Für etwas, zu dem nur Stationsangestellte Zugang hatten. Und dem Aussehen nach hatte ohnehin seit Jahrzehnten niemand mehr für nötig befunden, die Tür zu benutzen.
Nickie wusste: Selbst die Berliner Verkehrsbetriebe achteten längst nicht mehr auf diese Tür.
Aber die Genetics taten es. Diejenigen von ihnen, die ihr irdisches Exil dadurch aufzuwerten versucht hatten, dass sie mit Far Horizon zusammenarbeiteten. Leute wie Jurij R. Diaz.
Während der kleine Fahrstuhl Nickie in die Tiefe trug, wo der »Ruler« auf sie wartete, ließ sie die Geschehnisse noch einmal vor ihrem geistigen Auge Revue passieren. Irgendwie hatten sie und ihre Leidensgenossen auf diesem Planeten nie richtig Fuß fassen können, oder? Die Menschheit fürchtete die Genetics, auch wenn sie sich Toleranz auf ihre Fahnen schrieb. Sie hatte Angst vor ihnen, vor Vergeltungsschlägen von den Genetics-Welten – und sie hatte die Exilanten dazu getrieben, sich im Verborgenen zu halten. Nicht aufzufallen. Fremde in ihrer Mitte.
Nun, Far Horizon war da anders. Gregorovitchs Konzern hatte das Potenzial der genetisch aufgewerteten Menschen erkannt und ihr Angebot zur Mitarbeit dankend angenommen. Gemeinsam hatten sie das CC-4401 entwickelt, das CC-S. Sie hatten sogar einige der Daten aus dem gut fünfzehn Jahre zurückliegenden STERNENFAUST-Zwischenfall { * } entschlüsseln können, wenngleich da noch immer Unmengen auf ihre Decodierung warteten.
Auch die Genetics hatten gewartet. Auf den Tag, an dem sie sich nehmen konnten, was ihnen zustand. Den, an dem die Erde sie
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