Sternenfaust - 139 - Jagd auf Nickie Berger
geschichtsträchtigen Metropole auf sich einwirken. Ein Ort, an dem man sich wohlfühlen konnte, entschied sie. Doch deswegen war sie nicht hier hergekommen.
Keine zwei Stunden waren vergangen, seit ihre so unsanft vorgegangenen Retter sie in der Nähe des Potsdamer Platzes abgesetzt hatten. Anstatt ihrem Rat zu folgen und sich sofort zu Diaz zu begeben, hatte Nickie sich den Luxus gegönnt, die wiedergewonnene Freiheit erst ein wenig zu genießen. Das hatte sie sich verdient, fand sie. Alles andere würde warten müssen, bis sie so weit war.
Und dennoch …
Es behagte ihr ganz und gar nicht, sich inmitten all dieser Personen aufzuhalten. Nickie hatte nie zum Verfolgungswahn geneigt, nun aber erkannte sie deutliche Züge einer beginnenden Paranoia an sich. Al Khaled war kein Idiot. Falls er ihr noch immer auf den Fersen war, würde er erst ruhen, wenn er wusste, was er wissen wollte. Und das, so folgerte sie in Gedanken, machte jedes Lebewesen auf den Straßen dieser gigantischen Stadt zu einem potenziellen GalAb-Agenten. Zu einem von Shamars Verbündeten.
Die Erinnerung an die vier Roboter schob sich in ihren Geist und ließ sie schaudern.
Sie musste aufpassen. Sonst war sie ihre Freiheit schneller wieder los, als sie sie bekommen hatte.
*
Touristen auf der Suche nach Sehenswürdigkeiten.
Liebende bei einem Spaziergang.
Banker und Unternehmer auf der Hatz zwischen zwei Meetings.
Nickie scannte sie alle, drang in fremde Gedanken ein und suchte nach dem Feind. Nach dem unliebsamen Beobachter, der sie an die GalAb verraten würde. Es musste einer da sein. Mindestens. Alles andere wäre unverantwortlich, oder?
Nein, das Leben auf der Flucht behagte ihr ganz und gar nicht. Es wurde Zeit, dass sie sich zum Treffpunkt aufmachte und wieder in der Versenkung verschwand. Buchstäblich.
Berger hielt den Blick gesenkt, als sie die Straße überquerte, und schlängelte sich an den ihr entgegenkommenden Personen vorbei. Nur nicht auffallen, niemanden anrempeln. Sie konnte nicht alle gleichzeitig mental manipulieren.
Verflucht, wo war nur diese U-Gleiter-Station? Der Potsdamer Platz war ein zentraler Verkehrsknotenpunkt in Berlin Mitte und so ziemlich das genialste Versteck für Diaz’ kleine Zentrale, dass sie sich vorstellen konnte. Verborgen in der Öffentlichkeit. Niemand suchte dort, wo er alles zu sehen glaubte. Aber es war auch verdammt schwer zu erreichen, wenn man in jedem Passanten eine Gefahr vermutete.
Wenige Schritte vor sich sah Nickie die Station aus der Menschenmenge herausragen – ein kleines, archaisch anmutendes Bauwerk inmitten all der Hightech-Gebäude und wild blinkenden Werbeflächen an den Fassaden. POTSDAMER PLATZ stand in weißen Lettern über dem Eingang geschrieben, und eine Uhr mit weißem Zifferblatt zeigte die Zeit an. Unter ihr führte eine breite steinerne Treppe in den Untergrund der Stadt und zu den U-Gleitern, die diesen Ort mit so ziemlich jedem anderen in Berlin verband.
Es gab sie schon seit Jahrhunderten. Genau wie ihre Schächte … Auch wenn es ursprünglich Züge waren, die auf Schienen fuhren.
»Oh, Verzeihung.«
Ein Mann hatte sie angerempelt, aus Unachtsamkeit. Er war knapp einen Meter achtzig groß, hatte kurzes rotes Haar und ungewöhnlich blasse Haut. Ein Schlipsträger.
»Macht nichts«, sagte Nickie schnell und winkte ab.
»Nein, wirklich. Verzeihen Sie. Ich war mit den Gedanken offensichtlich woanders.« Er lächelte entschuldigend. Sah gar nicht mal schlecht aus.
Nickie hob den Blick und bemerkte das Zucken, das plötzlich in seinen Augenwinkeln Einzug hielt. Sie kannte diesen Anblick.
»Schon okay«, murmelte sie, wandte sich um und verschwand wieder in der Menge, doch ihr Herz raste.
War sie aufgeflogen? Das Zucken … So sah ein Mensch aus, der jemanden wiedererkannte. Sollte sie etwa inmitten der Berliner Bevölkerung genau mit dem Mann zusammengestoßen sein, der ein GalAb-Agent war? Sollte ihr das Schicksal tatsächlich derartige Stöcke zwischen die Beine werfen?
Nickie presste sich hinter einen Mauervorsprung und lugte vorsichtig um die Ecke. Der Rothaarige stand noch immer ein paar Stufen über ihr auf der Treppe. Er wirkte ratlos, skeptisch. Dann zog er einen kleinen Handkommunikator aus der Tasche seines Nadelstreifenjacketts.
Bitte nicht!
Durfte sie hoffen? Irrte sie sich tatsächlich?
Es half nichts. Sie brauchte Gewissheit. Nickie Berger schloss die Augen, öffnete ihren Geist und konzentrierte sich. Bilder und Eindrücke glitten
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