Sternenfaust - 144 - Wächter des Kristariums (2 of 2)
zu Tregarde hin, und zu seinen Leuten.
Stille lag über dem Rund.
Völlige Stille.
Noch immer huschten und kreisten die Blendlichter über die Köpfe der Wigoren.
Ein kollektives Seufzen schwoll an, hier und dort weinte jemand, ein vielstimmiges Weinen, ein jaulender Klang.
Dann brach die Hölle los!
*
Jake und Mary sahen sich an, und für einen Moment war sie beide sprach- und hilflos.
Mary fing sich als erste wieder. »Das könnte auch der Grund dafür sein, dass niemand dieses Gebäude betritt. Zuerst wusste die Bevölkerung, dass jeder hier in den Tod geht. Später wurde das vergessen, aber stets galt: Finger weg vom Kristarium! Und heute ist das so ins kollektive Unterbewusstsein gedrungen, dass es selbstverständlich geworden ist. Dieses Kristarium braucht keine Wachen oder Aufpasser. Die kollektive Furcht selbst ist der Wächter, das instinktive Wissen um die Macht des Kristariums. Einen besseren Schutz kann es nicht geben.«
Mary wies auf eine Platte an der anderen Seite des Eingangs. »Die haben wir fast übersehen.«
Diesmal kam Jake mit. Irgendwie hatte das Wispern nun eine verstörende Komponente, und er wünschte nichts mehr, als diesen unheimlichen Ort zu verlassen. Mary kniff die Augen zusammen. Sie tippte mit den Fingern auf die Platte, auf der Symbole, Striche und Muster eingeritzt waren, die in unterschiedlichen Farben glühten. »Ich wette, das ist eine Sternenkarte!«
»Ja, das könnte sein«, sagte Jake. Er fuhr mit den Fingerspitzen über die Unebenheiten und stockte bei einigen Symbolen.
Mary seufzte. »Ich wüsste zu gerne, wie ich das Ding kopieren kann …«
»Warum kopieren, wenn wir hier sowieso nicht mehr rauskommen?«
»Wo ist Ihr Optimismus geblieben, Commander?«
In der Arena, beim Gremmel, bei Jeroine! , wollte er antworten, aber er schwieg.
Stattdessen zog er seine Jacke aus. »Dünnes Leder«, sagte er. Danach einen Schuh. »Und etwas zum Zeichnen.« Er zerkrümelte die ölige Masse, die sich zwischen den Rillen der Sohle gesammelt hatte.
»Sie sind genial!«, jubelte Mary.
Jake drückte das Rückenteil gegen den Stein, und Mary machte sich daran, akribisch den Schmutz auf das Leder aufzutragen. Zuerst gelang nicht, was sie vorhatten, und Jake musste das Leder etwas verschieben. Danach konnte sich das Ergebnis sehen lassen. Es dauerte eine Weile, aber Mary war so in ihrem Element, dass sie die Zeit zu vergessen schien. Endlich war es vollbracht. Jake hielt das Leder von sich weg.
»Gute Arbeit!«, sagte er sachlich und grinste. »Dennoch – für was und wen? Wir kommen hier nicht weg, außerdem werden wir in Kürze ein Bestandteil dieser wunderbaren Kristalle sein.«
»Wir haben es getan, weil es unser Job ist, Commander«, meinte Mary trocken und rang Jake Bewunderung ab.
Das Wispern nahm zu. Unversehens änderte sich das Licht. Einige Kristalle schienen Funken zu sprühen, andere erloschen ganz. Aus einer farbigen Fantasie wurde eine blau leuchtende Halle. Das Sternengewirr zu ihren Füßen loderte auf, und weiche Nebel drangen aus unsichtbaren Öffnungen.
Kristalle veränderten ihre Struktur, ihre Form und bekamen weiche Konturen, wölbten sich, bogen sich, flossen ineinander und verfestigten sich, um sich daraufhin erneut zu verändern, die stete Metamorphose einer Substanz, bei der das eigentlich unmöglich war. Aus der Wand traten zwei Wesen, die sich milchig und trübe verformten und zu menschlich wirkenden Gestalten wurden. Sie waren durchscheinend und geschlechtslos. Dass sie unbekleidet waren, störte nicht, denn ihre Struktur verwirbelte, was Jake in den Augen schmerzte.
Mit einem Mal endete das Wispern. Stille legte sich über die Halle.
Und eines der Wesen – oder waren es beide? – sprach.
»Ihr wisst, wie wir uns nennen?«
»Die Bewahrer des Wissens?«, hauchte Mary. Sie und Jake bewegten sich nicht von der Stelle.
»So dürft ihr uns nennen. Wir sind die Herren dieser Stätte, die Überwacher.«
»Was überwacht ihr?«, wollte Jake wissen.
»Die Produktion der Naniten.«
Mary zupfte Jake am Ärmel. Sie schien frei von Angst und voller Wissbegierde. »Ich wusste es«, flüsterte sie. »Ich wusste, dass wir hier Antworten erhalten!«
»Was hat es mit den Naniten auf sich?«, fragte Jake. »Ich meine, wenn wir sowieso sterben, könnt ihr uns das sagen, oder?«
Mary stupste ihn an.
»Ist ja schon gut«, knurrte Jake und wurde sofort wieder ernsthaft. »Also? Wollt ihr sagen, wozu das alles hier dient?«
»Da euer Leben nur
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