Sternenfaust - 152 - Am Scheideweg (2 of 2)
die Geräusche, schlurfende Laute in der Finsternis. Im Schmerz.
Johnny will sich ihnen verweigern, sie nicht an sich heranlassen, denn sie können keine Linderung bringen. Nichts und niemand kann das. Das Dunkel und die Pein sind ewiglich, sind seine Strafe für ein nicht genutztes Leben. Für ein Dasein im Schatten, jenseits des eigenen Potenzials. Jemand wie er hat keine Linderung verdient. Jemand wie er wird keine erfahren. Warum also sich Hoffnungen hingeben? Hier im Schwarz gibt es keine Hoffnung mehr.
Oder?
Er zuckt zusammen, als ihn ein neuer Schmerz durchfährt – stärker und lokaler als der übliche Rest. Dies ist einer, der Kontext erschafft, der leben lässt. Mit einem Mal öffnen sich die Dämme in Johnnys Geist, stürzen die Erinnerungen auf ihn ein, die bis eben hinter den nachtdunklen Vorhängen des Vergessens gelauert hatten. Und mit ihnen kommt das Körpergefühl zurück. Das Bewusstsein, aus mehr als nur Geist und Elend zu bestehen. Einen Leib zu besitzen.
Einen Leib, der … irgendwo … sein musste.
Kälte auf seiner Brust (Brust. Er hat eine Brust.) seinen Beinen, seinem Arm.
(Arm. Ein Arm, der kribbelt, als liefen tausend Ameisen darüber.)
(Ameisen! Er weiß wieder, was Ameisen sind!)
Etwas wandert dort über seinen Körper. Etwas Kaltes, Spitzes, Hartes.
Ein neues Geräusch gesellt sich zu dem von vorhin. Es ist ein Stöhnen, klagend und schwach. Ein Wimmern voller Elend. Das Lied der Resignation. Des Todeswillens.
Johnny empfindet Mitleid mit der unbekannten Seele, die derartige Laute abzusondern gezwungen sein muss. Mit dem Schicksal, das derartige Klagelieder inspiriert. Erst spät begreift er, dass sie aus seinem eigenen Mund (Mund. Er hat einen Mund.) stammen. Dass er sie ausstößt.
Das Kalte, Spitze hat mittlerweile sein Gesicht erreicht, schiebt seine Lippen auseinander. Tippt gegen seine Zähne.
Johnny öffnet die Augen … und erstarrt!
*
Der Lauf des Dings war gut und gern zehn Zentimeter lang und so spitz wie ein Spieß von Louies Hähnchengrill auf der Chinchilla Avenue. Nur, dass das dahinter kein Hähnchen war. Und der Typ am Ende des Dings nicht Louie.
Sondern …
»Soko o ugoku na!« Das Monstrum war ein Koloss, ein bizarrer Albtraum aus Stoff, Nieten und Metall. Humanoid von Gestalt, haftete ihm dennoch nichts Menschliches an. Johnny sah silbrig glänzende Arme, von Metall ummantelte Schenkel und einen Buckel, aus dem in gleichmäßigen Abständen dunkle Erhebungen wuchsen, den Pickeln auf dem Gesicht eines Bürschleins gleich. Doch das hier war kein Bürschlein. Und es besaß auch kein Gesicht.
»Soko o ugoku na!«
Nichts regte sich in der Fratze, als die absurd anmutenden Laute abermals erklangen – hart und fordernd. Johnny sah in tote Augen, so schwarz wie der Rest des unheimlichen Antlitzes, sah einen zu einer Grimasse verzogenen zahnlosen Mund – und hob die Hände.
Langsam.
Er lag auf dem Rücken, irgendwo auf einer dem Gefühl nach kalten, dem Geruch nach staubigen Oberfläche. Einem Boden. Sein ganzer Leib schmerzte, als wäre er einmal zur Hölle und zurück gepilgert, und hinter seiner Stirn herrschte ein Trubel wie von fünf Marschkapellen gleichzeitig. Sein Mund war trocken, sein Smoking zerknittert … und sein Ende absehbar.
Es stand ja direkt vor ihm. Über ihm.
»Ich will keinen Ärger, Mister«, sagte Johnny Fontane jr. leise und sah dem grauenvollen Schnitter entgegen, der sich einem Henker gleich über ihn beugte und ihn mit dem Ding in Schach hielt, das – wie Johnny instinktiv längst begriffen hatte – nur eine Waffe sein konnte. Aber was für eine: Vom Prinzip durchaus einem Revolver ähnelnd, wirkte es doch wie ein Requisit aus »Flash Gordon« oder ähnlichen SF-Spinnereien, für die der Las-Vegas-Showman seit Kindertagen nie einen Geschmack entwickelt hatte. Strahlenwaffe , schoss es ihm durch den Kopf. Laser, Phaser, Captain Kirk. Trotz – oder gerade wegen – der Situation war ihm, als müsse er laut loslachen. Doch der Lauf der fremdartigen Waffe riss ihn schnell wieder in die Wirklichkeit zurück.
»Jin mei. Sumiyaka ni!«
Blecherne Laute, deren Klang doch keinen Zweifel an ihrer drohenden Ausrichtung ließen. Wer oder was immer das war, wollte etwas von ihm. Und es wollte es schnell .
Johnny schüttelte den Kopf, ganz langsam, ohne den Blick von dem Ungetüm zu nehmen. »Ich verstehe kein Wort, Mister. Wirklich nicht.«
»Sumiyaka ni!« Das Monstrum wurde ungeduldig, fuchtelte mit der Waffe direkt vor
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