Sternenfaust - 192 - Romanas Entscheidung
Romana Hel’gara eingeschlagen hatte.
Eine Stunde und vier Kilometer später mündete die Straße in ein breiteres Asphaltband, auf dem um diese Zeit jedoch kaum etwas los war. Die Insassen innerhalb der wenigen Fahrzeuge, die wie ein aus mehreren Segmenten zusammengesetzter Wurm aussahen, beachteten Romana Hel’gara nicht. Beinahe geräuschlos fuhren die blechernen Würmer an ihr vorbei.
Schon von Weitem konnte Romana Hel’gara die riesige Leuchttafel am Straßenrand erkennen. Eine hochgewachsene Tibaa hielt ein Fläschchen in der Hand und machte dabei ein freundliches Gesicht. Das Wort, das daneben stand, konnte nicht einmal Rea übersetzen. Dafür klappte es bei dem Text darunter umso besser. Es handelte sich um den Namen der Hauptstadt, Tanit, und um eine Entfernungsangabe.
Beides wandelte die kleine kybernetische Einheit in ihrem Gehirn in Schriftzeichen um, die Romana Hel’gara lesen konnte, und auch die Distanz rechnete sie in eine gewohnte Einheit um. Die Übersetzung koppelte das winzige System in Romana Hel’garas Sehnerv ein, sodass das Originalbild von der Übersetzung überlagert wurde.
So erfuhr Romana Hel’gara auch, dass die Hauptstadt noch über einhundert Kilometer von ihrem jetzigen Standort entfernt war. Sollte sie die etwa zu Fuß überwinden?’ Umso erfreuter war Romana Hel’gara, als sie beim Näherkommen erkannte, dass die Stelle hinter der kombinierten Werbe- und Info-Tafel als Haltestelle diente, an der schon ein Dutzend Tibaa auf den Bus warteten. Wieder lieferte Rea gute Dienste, denn ohne sie hätte Romana Hel’gara die Abfahrtszeiten nur raten können.
»Corjao!«, rief eine der Frauen Romana Hel’gara entgegen. Auch die anderen drehten sich um und nickten ihr zu.
Hallo! , flammte Reas Übersetzung in ihrem Gesichtsfeld auf.
Romana Hel’gara nickte wie die Frauen durch zweimaliges Heben und Senken des Kopfes.
Anscheinend hatte sie instinktiv das Richtige getan, denn die Tibaa beachteten sie danach nicht weiter. Jede schien in sich selbst versunken zu sein und Romana Hel’gara wich weiteren Kommunikationsversuchen aus, indem sie darauf achtete, einen gewissen Abstand zu den anderen einzuhalten.
Mit Hilfe von Rea analysierte Romana Hel’gara den Fahrplan. Eine Haltestelle hatte es ihr besonders angetan: das Zentralarchiv von Tana. Wenn nicht dort, wo sollte sie sonst Informationen über das Akoluthorum herbekommen?
Zu ihrem Glück kam nach fünf Minuten der Bus, der ähnlich wie die Fahrzeuge aussah, die an ihr vorbeigefahren waren, nur dass dieser hier nicht aus einzelnen Segmenten aufgebaut war. Die riesigen Bullaugen und dazwischen die manns- beziehungsweise frauhohen Räder gaben ihm das Aussehen einer Raupe, was durch die Bemalung noch verstärkt wurde: gelb umrahmte Fenster, grüne Seitenwände, und auf dem Dach ein Muster aus Solarzellen, das einer Klapperschlange zur Ehre gereicht hätte.
Die Fahrt verlief ereignislos, wenn man davon absah, dass sie immer wieder gemustert wurde. Romana Hel’gara blickte durch das Bullauge an ihrem Platz auf die Landschaft, sodass sie gar nicht Gefahr lief, mit einer der Frauen zu sprechen. Wer konnte schon sagen, ob sie sich nicht durch ihre Aussprache verriet.
Selbst als sich eine neben sie setzte, starrte Romana Hel’gara nur nach draußen.
Der Bus fegte über die Straße hinweg.
Vier weitere Male blieb der Bus an einer Haltestelle stehen, ehe die Silhouette von Tanit vor ihr aufragte.
Erst als die Frau von dem Platz neben Romana Hel’gara aufstand, blickte sie ihr gezielt hinterher. Sie hängte ihre Handtasche über die Schulter und verließ mit schwingenden Hüften den Elektro-Bus. Ein winziger, briefmarkengroßer Papierfetzen segelte hinter ihr zu Boden.
»Sie haben etwas verlor…«, begann Romana Hel’gara, doch die pneumatische Tür schloss sich hinter der Frau. Der Bus verließ die Haltestelle und reihte sich in den dichter werdenden Verkehr ein.
Niemand hatte auf Romana Hel’gara geachtet, und niemand sah zu ihr her, deshalb stand sie von ihrem Platz auf und bückte sich nach dem Stückchen Papier, das einsam auf dem roten Samtboden lag. Zurück auf ihrem Sitzplatz drehte sie es zwischen den Fingern. Ein Muster aus roten Dreiecken, wie ein Code, prangte auf der einen Seite, und unbekannte Schriftzeichen auf der anderen. Selbst Rea konnte damit nichts anfangen. Trotzdem steckte Romana Hel’gara den Zettel in die Brusttasche ihres Overalls.
*
Das Zentralarchiv entpuppte sich als ein grün
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