Sternenfaust - 193 - Der stählerne Stern
sich formenden Portals in die Höhe.
Chin’yardhi oder Hekal’kichwa …
Die oberen Säulenenden weiteten sich zu wuchtigen Würfelkapitellen, was immer noch kein hinreichendes Unterscheidungskriterium darstellte. Dann aber bildeten sich florale Motive in den Kapitellen.
Hekal’kichwa! , rief Vu’maiti jubelnd in ihren Gedanken.
Der Tempel lag nicht weiter als eine Zehntelmeile in östlicher Richtung an der Hauptstraße. Vu’maiti war bereits im Begriff, loszulaufen, als sie spürte, dass Tur’naggi noch nicht am Ende seiner Botschaft angekommen war.
Noch einmal brachte sie alle Konzentration auf, um die schwachen Bilder des Fremden zu empfangen. In Vu’maitis rezeptiver Vorstellung bildete sich eine dicht gedrängte Masse. Es war eine Kolonne – die Kolonne der Tum’duni!
Dann wuchsen zwei dünne Stäbe aus der Mitte der Kolonne hervor … zwei Piken!
Vu’maiti brauchte nur wenige Atemzüge, um zu begreifen, was ihr Tur’naggi mitteilte. Offenbar hatte es Ken’gewa für angebracht empfunden, den Fremden persönliche Wachen mitzugeben – denn gewöhnlich säumten die Jäger die Tum’duni-Kolonne nur und bewegten sich nicht in ihr. Und Tur’naggi war so gewitzt, Vu’maiti die persönlichen Wächter nicht als solche zu übermitteln, sondern das Vorstellungsbild in der Weise zu imaginiexen, wie Vu’maiti es in Wirklichkeit sehen musste, wenn sie sich von außerhalb der Kolonne näherte: zwei hoch aus der Masse ragende Piken als Erkennungszeichen!
Du bist ein schlauer Bursche, Freund Tur’naggi!
Vu’maiti machte sich eilends auf den Weg. Und wieder rief sie alle zwanzig Schritte: »Die Kuhan’pili! Lasst mich durch!« Und immer wieder musste sie die Passanten hindern, das Knie zu beugen, wenn sie erkannt wurde: »Nicht! Nicht jetzt! Lasst mich einfach nur durch!«
Vu’maiti quetschte sich durch die Massen, ruderte mit den Armen, drängte Passanten zur Seite. Es war, als würde sie durch zähflüssiges Öl schreiten.
Doch endlich konnte sie schräg vor sich die hohe Fassade des Hekal’kichwa ausmachen.
Jetzt verdoppelte sie noch einmal ihre Anstrengungen, und bald war sie auf der Höhe des Tempels angelangt.
Mit wildem Blick tastete sie die Kolonne der Tum’duni ab.
Keine Piken!
Tur’naggi musste sich in der Zwischenzeit ebenfalls weiterbewegt haben.
Vu’maiti setzte ihren beschwerlichen Weg fort, quetschte sich zwischen den gaffenden Einwohnern Bilad’himus hindurch, wobei sie stets die murmelnden, summenden Klagegesänge der vor sich hin trottenden Tum’duni im Ohr hatte.
Und dann sah sie es!
Nicht mehr als hundert Schritte vor ihr ragten zwei Piken, dünn wie Federstriche, aus der Kolonne. Sie wippten ganz leicht im Takt der kurzen Schritte, zu dem die dicht aufeinanderfolgenden Gefangenen genötigt waren.
Vu’maiti stieß sich gleichsam an den Oberkörpern zweier Tum’waheri ab und katapultierte sich in die Menge. Mit rudernden Armen pflügte sie sich hindurch, gewann Rute um Rute, näherte sich unaufhaltsam den schaukelnden Piken und schlug sich endlich durch das weitmaschige Spalier der Jäger, hinein in die Kolonne der Opfer.
Nun erkannte sie, dass es tatsächlich Tur’naggi und Ken’drahskott waren, die von zwei pikenbewehrten Soldaten geführt wurden.
»Halt!«, rief die Priesterin, und Wachen wie Fremde drehten sich zu ihr um.
»Kuhan’pili!«, kam es versetzt aus den Mündern der beiden Soldaten, und im nächsten Augenblick beugten die Wächter das Knie.
Vu’maiti vermeinte Freude und Erleichterung in den Gesichtern der Tar’tarishi und Tur’naggis zu erblicken – offenbar war die Gestik der Fremden derjenigen der Tum’waheri ganz ähnlich.
»Erhebt euch!«, richtete Vu’maiti das Wort an die Wachen, während sie von hinten durch die nachströmenden Tum’duni leicht angerempelt wurde.
»Ich übernehme diese beiden Gefangenen«, sagte sie kühl und deutete mit einer lässigen Geste auf die Fremden.
»Ich bitte um Verzeihung«, sagte einer der beiden Wächter, die nun beide wieder aufrecht standen. »Aber wir haben Anweisung von höchster Stelle, die Fremden auf das Tawil’kiwara zu geleiten!«
»Hiermit widerrufe ich diese Anweisung. Ich bin eure Kuhan’pili!«
»Ken’gewa höchstselbst …«, begann der zweite Soldat, wurde aber sogleich von Vu’maiti unterbrochen.
»Ich handle im Einvernehmen mit Ken’gewa. Er hat seine Entscheidung überdacht. Die Fremden sind zu wichtig, als dass wir sie Ten’brikum opfern könnten.«
»Ja … nun
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