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Sternenschatten

Sternenschatten

Titel: Sternenschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Computer weggeschafft hatte – damit ich ja die Finger davon ließ. Als Ersatz hatte er mir eine Stereoanlage gekauft, ein Gerät mit allen Schikanen, und ich musste, während ich im Bett lag, tastend mit der Fernbedienung zurechtkommen. Bis heute kann ich alle Knöpfe ertasten … und bis heute erinnere ich mich an die Freude, wenn ich per Knopfdruck zu einem Radiosender im Äther kam oder eine CD startete. Am schönsten war es aber, wenn mein Großvater mich besuchte, sich zu mir setzte und sich mit mir unterhielt. Bereits am ersten Tag fragte ich ihn, warum es so lange dauert, bis man von den Masern kuriert ist, worauf er mir einen zehnminütigen Vortrag über die Krankheit hielt. Ich glaube kaum, dass sich mein Großvater davor je mit den Masern beschäftigt hatte, aber sobald ich erkrankt war, brauchte er nur eine halbe Stunde, um zu einem Experten für diese Krankheit zu werden.
    »Masern sind eine Virusinfektion, Pit.« Damals nannte er mich gern Pit. »An dieser Front hat die Medizin keine sonderlichen Erfolge vorzuweisen. Angeblich haben die Aliens wirksame Präparate, um die Viren auszurotten, aber sie haben natürlich nicht die Absicht, uns in den Genuss dieser Präparate kommen zu lassen. Dein Lymphsystem ist jetzt entzündet. Erinnerst du dich noch an das Buch, das wir gelesen haben? Wie mein Körper aufgebaut ist? Im Moment hat sich das Virus im retikulohistiozytären System eingenistet, aber darüber musst du dir wirklich nicht den Kopf zerbrechen. Das ist nicht schlimm, ich hatte in der Kindheit auch die Masern und hab’s überstanden.«
    »Dann werde ich also nicht sterben?«, fragte ich, denn ich hatte ein wenig Angst.
    »Wenn du keine kortikale Panenzephalitis bekommst, dann nicht«, beruhigte mich mein Großvater. »Und das ist höchst unwahrscheinlich.«
    »Was ist denn eine Panenzephalitis?«
    Mein Großvater erklärte es mir ausführlich und mit allen Details. Irgendwann ertrug ich es nicht mehr und fing an zu weinen. Ich schrie ihn sogar an, ich wolle das alles gar nicht wissen und er solle den Mund halten …
    Daraufhin hatte mein Großvater mir seine kalte Hand auf die Stirn gelegt, gewartet, bis ich mich etwas beruhigt hatte, und dann gesagt: »Das ist nicht richtig, Pit. Die einzige Angst, die man sich gestatten darf, ist die Angst vor dem, was man nicht kennt. Aber wenn du etwas kennst, brauchst du keine Angst mehr davor zu haben. Du kannst die Krankheit hassen und verachten. Aber du brauchst keine Angst vor ihr zu haben.«
    »Hast du denn keine Angst gehabt, als du ein kleiner Junge warst und krank gewesen bist?«, schrie ich ihn beleidigt an.
    »Doch«, antwortete mein Großvater nach kurzem Schweigen. »Aber das war eben nicht richtig.«
    Jetzt dagegen verhielt er sich genau richtig. Jetzt hatte er keine Angst mehr.
    Oder er war stark genug, um sich seine Angst nicht anmerken zu lassen. Das, was mit ihm geschehen war, schien er als akademischen Fall zu betrachten, den er seinen faszinierten Kollegen vortrug. Übrigens hätte er genau das mit dem allergrößten Vergnügen getan – wenn er nur den Zähler hätte überreden können, mit ihm zur Erde zu fliegen! Dann wäre er in seine Fakultät gegangen, in den Hörsaal, hätte die Zähne gebleckt, voller Genugtuung in die bleichen Gesichter der Leute der Weltraumsicherheit geschaut, der Exobiologen, der Xenopsychologen, der extraterrestrischen Linguisten, der außerplanetarischen Diplomaten, der … »Was für ein eigentümlicher Fall!«, hätte er geschnarrt. »Ich bin doch tatsächlich immer noch der alte Tattergreis Andrej Chrumow, auch wenn ich jetzt in diesem hässlichen Körper des Reptiloiden vor Ihnen hocke …«
     
    »Was für ein eigentümlicher Fall. Ich bin doch tatsächlich immer noch der alte Andrej Chrumow, auch wenn ich jetzt ein wenig an eine Eidechse erinnere«, sagte mein Großvater. »Und wenn Karel nicht die Absicht hat, sein Gedächt nis zu löschen, winkt mir noch ein langes Leben …«
    »Du wirst mich noch überleben, Großpapa«, bemerkte ich.
    »Möglich wäre das«, erwiderte er leichthin.
    Ich schielte zu meinem Großvater hinüber … zu Karel. Der Zähler lag auf dem Fußboden. Wenn er ein Reptiloid ohne Gast im Körper gewesen wäre, hätte er es sich jetzt auf der Rückenlehne des Betts bequem gemacht.
    »Was macht er, wenn du … das Wort führst?«
    »Das weiß ich nicht, Petja«, antwortete mein Großvater. »Aber ich glaube, sogar dieser Zustand gefällt ihm. Schließlich hat er schon immer über

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