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Sternenschatten

Sternenschatten

Titel: Sternenschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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sogar angenehme Frost, der klare Himmel … Ich erhob mich und schüttelte mir die Fetzen des hauchzarten, federleichten Stoffs vom Kopf. Ich sagte – und hörte mich selbst wie aus weiter Ferne: »Glück muss man haben.«
    Bis zum Internat waren es noch zwei Kilometer. Ich fragte mich, ob man meinen Fall überhaupt hatte bemerken können.
    Wahrscheinlich schon. Sofern ich nicht plötzlich im Fall unsichtbar geworden war – was ja durchaus hätte sein können, wenn es sich hier um die übliche Prozedur zur heimlichen Landung auf einem fremden Planeten handelte.
     
    Die auf dem Schnee verstreuten Stofffetzen verschwanden nach und nach. Ich brauchte den Fallschirm also nicht zu verstecken.
    Mich selbst aber schon. Natürlich könnte ich mich auch zu einer Transportkabine durchschlagen und versuchen, noch einmal einen Scout zu kapern …
    Oder … ja was denn, zum Teufel? Sollte ich etwa ausholen und den Samen wegschmeißen? Oder sollte ich ihn doch besser behutsam in einem unvorstellbaren Feld der Wunder vergraben? Und mich anschließend stellen?
    Der Samen in meiner Hand glühte. Rasch schirmte ich ihn ab.
    »Eene, meene, meck – und du bist weg«, sagte ich leise. »Oder muss ich dich doch vergraben?«
    Der Feuerklumpen des Schattens schwieg. Er war es nicht gewohnt zu antworten. Und Nik Rimer sagte ebenfalls kein einziges Wort.
    »Hör mal, wir brauchen dich wirklich …«, sagte ich. »Das musst du verstehen … und du auch, Nik … schließlich seid ihr am Leben. Außerdem könnt ihr für euch selbst einstehen. Aber die Erde steht ohne jeden Schutz dar. Niemand verteidigt sie – außer mir.«
    Sie schwiegen alle, denn die Götter lassen sich nun mal nicht zu einem Menschen herab, und für die Toten ist es sehr schwer, mit den Lebenden zu streiten.
    Hoch am Himmel entstand ein Geräusch – und verschwand hinterm Horizont. Die Jagd auf mein Schiff war eröffnet.
    »Nehmen wir das als Zeichen …«, sagte ich. »Fassen wir das als Einwilligung auf … Cualcua, kann ich bis Anbruch der Dunkelheit unterm Schnee liegen? Sorgst du für Wärme?«
    Ja.
    Kurz und knapp. Ich suchte den Schnee mit misstrauischen Blicken ab. Sämtliche Spuren waren bereits beseitigt, von den Einbuchtungen am Boden einmal abgesehen, die von dem Bremskokon, der mich gerettet hatte, herrührten. Ich kniete mich hin und fing an, mich im lockeren Schnee einzugraben. Tief unten, direkt auf dem Boden, streckte ich mich aus. Keine Ahnung, wie das auf andere wirkte – aber alles war besser, als aus einer unberührten Schneefläche aufzuragen.
    Der Cualcua ließ mich nicht im Stich. Ich spürte die Kälte wirklich nicht. Nur mein Herz hämmerte, so dass ich wohl nicht einschlafen würde, und meine Haut brannte, denn mein Symbiont ließ mir kein Fell wachsen, was ich insgeheim befürchtet hatte, sondern beschleunigte einfach meinen Blutfluss. Außerdem schien er noch die Wärmeerzeugung gesteigert zu haben. Das war sie also, die perfekte Diät: Man brauchte bloß im Schnee zu liegen. Bis zum Abend würde ich drei Kilo des eigenen Fleischs verbrannt haben …
    Nachdem ich mich also im Schnee eingegraben hatte, richtete ich mich aufs Warten ein.
    Ab und an döste ich trotzdem ein, wobei mich verworrene, beunruhigende Träume heimsuchten. In ihnen zwang mich jemand, irgendwo hinzugehen, um irgendwas zu tun. Die Welt war verzerrt, abgeschlossen, sie erinnerte an eine Kette von kalten, niedrigen Höhlen. Ich lief durch sie hindurch, ohne den Ausgang zu finden, litt unter meiner Hilflosigkeit, während mir die Zeit, die mir ohnehin knapp zugemessen worden war, durch die Finger rann. Irgendwann wachte ich auf, rührte mich in meiner kleinen schmelzenden Schneehöhle, hob den Kopf, den ich auf meine Hände gebettet hatte, und betrachtete sie. Eine Hand pulsierte in purpurnem Licht, der Samen leuchtete durch die Haut. Ich spähte aus dem Schnee heraus und fühlte mich wie ein Strauß, der seinen Kopf tief im Sand vergraben hat.
    Um mich herum war niemand. Das Internatsgebäude wirkte wie verlassen. Aber war das so undenkbar? Nachdem man den Tod des Ausbilders Fed entdeckt hatte, hätte man es durchaus evakuieren können. Und was für eine hübsche Überraschung das wäre, wenn ich gleich einer Aufklärungsgruppe aus hartgesottenen Regressoren in die Arme liefe …
    Ich tauchte abermals im Schnee unter und versuchte einzuschlafen. Der Tag zog sich unerträglich in die Länge. Wahrscheinlich war der Scout schon abgeschossen worden. Ob die Geometer

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