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Sternenschatten

Sternenschatten

Titel: Sternenschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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herausbekommen hatten, dass im Cockpit kein Pilot saß? Würden sie jetzt meine Flugbahn durchkämmen – schließlich wussten sie doch über die Invasionsmöglichkeiten Bescheid. Viele Fragen und keine Antworten. Ich redete mit mir selbst, rief Nik Rimer, der sich in meiner Seele versteckte, und stellte dem Cualcua sinnlose Fragen. Von mir selbst erfuhr ich nichts Neues, Rimer schwieg, und der Cualcua ließ sich nur zu einsilbigen Antworten herab, als quäle ihn ebenfalls etwas. Manchmal glaubte ich, alles, was passiert war – Mascha und Danilow, die sich als Mitarbeiter des FSB erwiesen hatten, der Schatten, der eine halbe Million Planeten in sich vereinigte, mein Großvater, der gestorben war und einen neuen jungen Körper erhalten hatte –, sei nur ein Traum. Ein Fiebertraum … denn eigentlich sei ich aus dem Lager der Geometer geflohen und würde jetzt im Schnee erfrieren. Vielleicht gab es auch keinen Pjotr Chrumow und hatte ihn auch nie gegeben, und ich war der verrückte Regressor Nik Rimer, der die Hand gegen seinen Ausbilder erhoben und daraufhin seine verdiente Strafe erhalten hatte …
    Dann öffnete ich jedes Mal die Augen und schaute auf den Feuersamen. Er war real, realer als die vereiste Schneekruste um mich herum, realer als meine von der Blutstauung gerötete Handfläche, auf der er lag. Der Samen war das, worauf es ankam, während ich … nur ein wandelndes Zubehör war, das ihn in diese Welt gebracht hatte.
    Irgendwann kam der Augenblick, da ich aus dem Schnee auftauchen konnte und sah, dass die blutrote Scheibe des Mütterchens hinter den Horizont kroch. Die Sonne war ebenfalls ein Samen, mächtig und leidenschaftslos, und auch sie vertrieb alle verwirrenden Nebel.
    »Gib mich frei, Rimer …«, bat ich. »Gib mich frei, Schatten … gebt mich frei …«
    Ich wollte weinen. Ich wusste nicht, ob ich das tun sollte, was Rimer wollte, und verstand nicht einmal, ob er das noch wollte. Schließlich musste es einen Grund haben, dass er verschwunden war. Wovon auch immer er geträumt haben mochte, welche Gedichte er in seiner Einsamkeit auch geschrieben haben mochte, er blieb das Fleisch vom Fleisch dieser Welt. Es war sein gutes Recht, ihr die Tore zu geben. Es war sein gutes Recht, sie mir zu geben. Nur Rimer konnte entscheiden, wessen Heimat in den Schatten eintrat.
    Wenn das doch bloß alles bald vorbei wäre! Egal wie, Hauptsache vorbei. Vielleicht verfügte ich ebenso frei wie die Schiffe der Geometer. Vielleicht war ich eine Marionette wie der Junge namens Dari. Vielleicht war ich genauso glücklich wie Nik Rimer. Egal, wenn nur alles endete.
    Ich stand auf. Mir war schlecht, der Kampf gegen die Kälte verlangte am Ende doch seinen Tribut. Es dämmerte bereits, und es fing an zu schneien … jetzt musste ich aufbrechen. Was auch immer mich erwartete.
    Natürlich war es dumm, wieder den Weg durch die Kanalisation zu nehmen, aber ich kannte keinen anderen Eingang in diesen Kuppelbau. Sollten die Geometer allerdings dahintergekommen sein, wie der Fremde ins Internat eingedrungen war, dann wäre die Kanalisation jetzt entweder nicht mehr frei zugänglich oder mit Kameras gespickt. Auf dem Weg zur Glaskuppel machte ich noch einmal halt und dachte nach.
    Es schneite immer heftiger. Es kam mir so vor, als wäre ich erst gestern hier gewesen …
    Gestern? Nein! Es war ja schon vor einer Woche gewesen! Vor einer Ewigkeit! Mir war inzwischen alles egal.
    Ich fand den bekannten Verschlag, der jetzt vollständig unter Schnee begraben war. Ich pflügte mich durch die Schneewehe, wobei ich jede Sekunde damit rechnete, dass ein Fangeisen zuschnappte oder mich ein Paralysator erwischte. Aber nein, nichts geschah. Da war die Tür, die Klinke. Ich zog sie auf und hörte das Rauschen des fließenden Wassers. Na gut, dann wollen wir die Geschichte mal als Farce wiederholen.
    Aber gab es wirklich keinen anderen Weg? In das Gebäude führten drei Türen … die allerdings auf mich nicht reagieren würden. Vielleicht hätte ich sie in der Gestalt des Ausbilders Fed öffnen können, aber Fed war tot. Seine Fingerabdrücke waren garantiert längst aus dem Gedächtnis der Schlösser gelöscht worden.
    Gut, komme, was da wolle.
    Ich schlüpfte in den Verschlag, schloss die Tür hinter mir und sprang ins Wasser. Der Strom empfing mich, als sei er ein alter Freund von mir, voller Wärme und mit kameradschaftlichem Getätschel. Es spülte mich den engen Tunnel hinunter. Wer hätte das gedacht? Seid ihr wirklich so arglos,

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