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Sternenschatten

Sternenschatten

Titel: Sternenschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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ein Ausbilder?«
    »Nein. Ehrenwort.«
    Er nickte. Das glaubte er mir. Neugier und Angst kämpften in ihm mit der Höflichkeit. Die Neugier siegte, wie immer.
    »Und wer sind Sie?«
    »Ein außerirdischer Kundschafter.«
    Eine Sekunde lang schwieg der Junge. Trotzdem überzeugte ihn diese Version schon eher als die vom bösen Erdgeist.
    »Ein außerirdischer?«
    »Ganz genau.«
    »Ein Regressor oder Progressor?«
    »Nur ein Kundschafter. Ein Beobachter.«
    »So was gibt es nicht.« Till schüttelte den Kopf. »Das wissen doch alle. Es ist aus ethischen Prinzipien unmöglich, sich nicht einzumischen, nach dem Garada-Riz’schen Gesetz …«
    Mit einem Mal beruhigte er sich.
    »Sie sind ein Ausbilder. Sie machen eine Prüfung mit mir. Ich weiß doch, dass das Unterricht ist. Unterricht in ethischer Wahl, wie ich mich verhalte, wenn …«
    »Und wie verhältst du dich?«
    Till hatte seine Angst anscheinend überwunden. Er rutschte näher heran. Seine hellen Hosen waren bereits über und über mit Dreck beschmiert, was Till aber nicht störte.
    »Das ist eine schwierige Entscheidung«, sagte er leidenschaftlich. »Also … wie Garada bewiesen hat … wenn eine andere Zivilisation eine Ethik vertritt, die sich von unserer unterscheidet, wird sie sich nicht einmischen. Es kommt entweder zu einem primitiven militärischen Konflikt um die Einflusssphären oder zu gutnachbarschaftlichen Beziehungen. Denn eine Einmischung nützt niemandem etwas. Aber wenn die Ethik mit unserer vergleichbar ist, dann muss man sich einmischen … schließlich kann niemand mit ansehen, wie seine Brüder leiden. Das rechtfertigt jede Einmischung. Habe ich das richtig erklärt?«
    »Ja«, sagte ich. »Es ist unmöglich, sich nicht einzumischen.«
    »Aber dann hat Riz die Konsequenz aufgezeigt … dass wir nämlich, wenn wir anderen Rassen helfen, auch akzeptieren müssen, dass jemand sich bei uns einmischt … Das ist … äh … ein Falsches Axiom!«
    »Und warum ist es falsch?«
    »Weil es falsch ist«, gab Till erstaunt zurück.
    »Und warum ist es ein Axiom?«
    »Weil es sich nicht widerlegen lässt!«
    Ich grinste. Die Welt der Falschen Axiome und der logischen Fehler. Das ist fast meine Welt.
    »Und wie verhältst du dich jetzt? Ausgehend vom Garada-Riz’schen Gesetz?«
    Till schniefte und wischte sich die letzten Spuren der kürzlich vergossenen Tränen aus dem Gesicht.
    »Ich weiß es nicht. Ich muss den Erwachsenen von Ihnen Mitteilung machen. Weil Sie ein außerirdischer Kundschafter sind und versuchen könnten, uns zu verändern. Aber dann verstoße ich gegen die Konsequenz von Riz … weil wir dann nämlich den zukünftigen Freunden von vornherein die Freiheit bei der Wahl der Ethik absprechen …«
    »An der Stelle hilft dir dann aber das Prinzip des Geringeren Übels weiter«, bemerkte ich vertrauensvoll. »Oder das Prinzip der Umkehrbarkeit der Wahrheit. Es ist sehr leicht, sich selbst alles zu beweisen … was man gern möchte.«
    Darauf loderte es in Tills Augen auf. »Sie sind ein Regressor!«, stelle er fröhlich fest. »Ich kenne diese Prinzipien, denn von denen habe ich in den Lehrbüchern gelesen. Das sind die Prinzipien der Regressoren!«
    Vor Aufregung hätte er beinah nach meiner Hand gefasst. Er stoppte die Bewegung jedoch in letzter Sekunde. Ich konnte zwar ein Regressor sein, der Held aller Kinderphantasien, aber ich war eben doch kein Ausbilder.
    »Und sind Sie zu uns gekommen, um … nein, ich sage kein Wort mehr!«
    Die letzten Worte stieß er in einem verlangenden Ton aus: Na, kommen Sie, fragen Sie mich schon, was ich denke!
    Und ich fragte.
    »Sie suchen sich einen Jungen aus!«, platzte Till heraus. »Das weiß ich, denn das habe ich auch gelesen! So machen die Regressoren es, wenn es nötig ist, sich auf einem anderen Planeten einzunisten, und zwar nicht allein, sondern fast mit einer Art Familie, wie im Altertum, als sich Gruppen aus Männern und Frauen zusammentaten und manchmal auch noch Kinder aufnahmen! Sie wollen einen Jungen finden … oder ein Mädchen …« Seine Stimme verlor kurz ihre bisherige Fröhlichkeit. »… die das Kind von Ihnen spielen …«
    Till sah mich zweifelnd an.
    »Oder den kleinen Bruder …«
    Ich schwieg. Der Samen in meiner Hand glomm, amüsiert und arrogant. He, Pjotr Chrumow! Bist du immer noch so überzeugt davon, dass die Erde den Schatten dringender braucht? Dass die Erde ohne dich nicht heil aus dieser Geschichte herauskommt? Und bei den Geometern im Großen und Ganzen

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