Sternenschatten
sich persönlich zu wollen. Fast unfähig. Vielleicht ist das sogar ihr entscheidendes Manko – dass sie alle eigenen Wünsche vergessen haben.«
»Egoismus als Voraussetzung für das Aufblühen einer Zivilisation?« Mein Großvater überging meine Zustimmung zu seiner Entscheidung schlankweg. »Nein, Pjotr, es ist nicht nötig, meinen Wunsch, mit dir mitzufliegen, irgendwie weltanschaulich zu rechtfertigen. Wir können gegenwärtig gar nicht entscheiden, was nun richtiger ist. Aber den Kern zu sehen ist einfach eine ungeheure Versuchung …«
Vielleicht hatte mein Großvater ja recht, wenn er meine philosophischen Überlegungen zurückwies, keine Ahnung. Trotzdem hegte ich meine Zweifel an der Normalität von Menschen, die keine persönlichen Wünsche mehr kannten. Die rein gar nichts für sich wollten, weder Macht noch Geld, weder einen Bungalow auf den Malediven noch den Himmel, an dem Millionen von Sternen prangen, oder jenes süße Zittern, das den Körper beim Jump erfasst.
Ein Mensch, der nichts zu verlieren hat, kann einen anderen niemals verstehen. Das haben die Menschen bereits oft genug bewiesen, angefangen von den Politikern auf der Erde bis hin zu den Ausbildern der Geometer. Und eine Welt, in der sich alle nur um andere sorgen, wäre nichts anderes als ein großer Ameisenhaufen. Aber danach sollte man nicht mich fragen, das sollte man besser in den moralischen Schriften Lew Tolstois nachlesen. Oder noch besser in den Erinnerungen Sofia Andrejewnas, in denen sie ihren großen Ehemann und sein Verhalten im Alltag beschreibt.
»Gut, Großvater«, sagte ich. »Lass uns der Versuchung nachgeben.«
»Wir müssen allerdings noch in Erfahrung bringen, was der Kommandant der Alari von der Sache hält. Sein Abenteurergeist hat schließlich auch seine Grenzen.«
Mein Großvater verstand es einfach, jedem Enthusiasmus einen Dämpfer aufzusetzen.
Drei
Danilow fand ich in einer der Hallen des Flaggschiffs. Genauer gesagt, nicht ich fand ihn, sondern ein hilfsbereiter Alari brachte mich zu ihm.
Inzwischen hatte ich auch begriffen, dass meine Flucht von Anfang an fingiert gewesen war. Nie im Leben hätte ich durch all diese labyrinthartigen, halbdunklen, sich keiner normalen Logik fügenden Gänge gefunden. Man musste eine Ratte sein oder zumindest wie die Alari einen Nager unter seinen Vorfahren haben, um sich nicht in ihnen zu verlaufen.
Nein, man hatte mich geführt, mir nur einen einzigen Weg offen gelassen und mir damit die Illusion von Freiheit vorgegaukelt. Das Bizarre daran war, dass diese Illusion weitaus wahrhaftiger und angenehmer war als die echte, nur minimal entstellte Freiheit in der Welt der Geometer …
Danilow checkte die Wolchak, was ziemlich dämlich aussah: ein winziger Mensch neben dem gewaltigen Shuttle, der gewissenhaft die Kortrison-Platten der Verkleidung überprüft, in die Düsen späht und die Seitenflächen abklopft. Das ist doch wirklich lächerlich, oder? Die Wolchak ist kein Auto, Danilow kein Chauffeur, der einen Defekt bemerken würde.
Aber man möchte halt die Kontrolle über die Situation behalten. Oder die entsprechende Illusion.
»Alexander!«, rief ich, als ich mich ihm näherte. Meine Stimme hallte dumpf in der leeren Halle wider.
Danilow drehte sich um und gab mir ein undefinierbares Zeichen mit der Hand.
»Was macht das Schiff?«, fragte ich.
»Alles in Ordnung«, antwortete der Oberst.
»Mein Großvater hat mir erzählt, es sei komplett umgerüstet worden.«
»Na ja, nicht komplett …«
Ich umrundete das Shuttle und lugte in die Düse.
Nichts Ungewöhnliches. Wo sollten diese Plasmatriebwerke denn sitzen?
»Die Alari haben uns ihre Triebwerke zur Verfügung gestellt«, teilte mir Danilow mürrisch mit. »Sie funktionieren mit Wasser. Und was die Energiequelle angeht – da haben sie mir erklärt, wir würden das Prinzip sowieso nicht verstehen, aber der Vorrat würde für mindestens ein Jahr reichen. Die Schubkraft würde enorm zunehmen.«
»Und was haben wir jetzt für ein Steuerungssystem?«
»Sie haben einen Schalter am Pult angebracht. Mit zwei Positionen: ›Plasma‹ und Emulation Flüssigkeitsrakete‹. Angeblich ist das Steuerungssystem auf die Parameter eingestellt, die wir gewohnt sind, so dass du nicht mal mitkriegst, mit welchem Triebwerk du fliegst. Wir sollen damit wie gehabt fliegen können. Wenn wir wollen, können wir ein paar Mal landen, zum Mond und zurück fliegen.«
»Können wir auch von der Erde aus starten?«,
Weitere Kostenlose Bücher