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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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Abschieds zu denken. Sie würde Verpflegung für wenige Tage benötigen, die sie auf den Beinen halten würde, bis sie gelernt hätte, sich in einer fremden Gegend etwas Eßbares zu verschaffen. Ein wenig zusätzliche Nahrung, die sie durch die Berge brächte, wo Eßbares knapp sein würde. Ohne ein Wort bewegte sie sich durch die Hütte und füllte einen Korb mit Fladenbrot und getrockneten Beeren. Sie unterdrückte ihre flüchtigen Skrupel und ließ Okis schärfste Hiebklinge in den Korb gleiten.
    Oki gab keinen Ton von sich, als Keva ihre Habe über die Schultern schwang und zur Tür ging. Keva blieb stehen und schaute zurück, ihre Augen waren voller Bedauern. Sie würde Lekki vermissen. Es würde ihr fehlen, Lekkis Heranwachsen zuzuschauen und zu beobachten, wie sie zur Frau würde. Und ja, sie würde auch Oki vermissen.
    Aber irgendwo war ihr Vater, der so einsam war, wie sie es gewesen war, der sie für tot hielt. Sie drehte sich um und verließ die Hütte. Sie hatte keine Ahnung, wo sie ihn suchen sollte. Sie wußte auch nicht, ob er sie erkennen würde. Aber sie würde ihn erkennen. Selbst wenn er den Bart abrasiert hatte, selbst wenn er nicht länger das weiße Roß ritt, sie würde ihn an seinen suchenden Augen erkennen. Sie würde ihren Vater erkennen.
    Aber was sie über die Verwandten ihres Vaters erfahren mochte, über ihre Mutter, den Stein ... Sie schob die Gedanken daran beiseite. Sie hatte sich aufgemacht, ihren Vater zu suchen. Jetzt war keine Zeit mehr für andere Überlegungen.
    Fortgehen, verlassen ... Tränen liefen ihr übers Gesicht, und sie wußte, daß in der Hütte auch über Okis Gesicht Tränen rinnen würden. Sie konnte den rauhen, wütenden Ton ihres Kummers hören.
    Deutlicher noch hörte sie das Blaue Lied, es rief sie zur Suche auf. Sie umklammerte den Stein am Hals und lief blind in die wispernde Dunkelheit.
     

2 Danior
    Es war Morgen, und die eingedämmten Felder um den Palast schimmerten im schwachen Grün des frischen Pflanzenwuchses. Die Luft war warm und von der Ahnung des bevorstehenden Sommers erfüllt. Danior stand am Fenster und sah zu, wie die Lehrlinge dieser Jahreszeit ihren Meistern über die Plaza folgten. Sie gingen zum ersten Unterricht auf die Felder, in die Weberei-Schuppen und in die Zuchtställe. Er fühlte sich sehr einsam, als er ihnen nachsah. Einige der Lehrlinge waren noch vor wenigen Jahren seine Spielgefährten gewesen, bis sie ihre erste Volljährigkeit erreicht hatten und geschickt wurden, auf die Herden aufzupassen oder Botschaften zu befördern. Jetzt waren sie fünfzehn Jahre alt - ein Alter, in dem man seine Wahl traf -, und sie hatten sich ihre Gilde ausgesucht und gingen, um ihre Plätze einzunehmen.
    Er war genauso alt, aber man hatte ihn nicht vor die Wahl gestellt. Niemand hatte seine Füße auf den Weg gesetzt, der ihn zu seinem Platz im Talleben geführt hätte. Traurig wandte er sich vom Fenster ab und fragte sich, welche Antwort er wohl bekommen mochte, wenn er zur Richterin Pergossa ginge und darum nachsuchte, als Lehrling in eine Gilde aufgenommen zu werden. Er überlegte, welche stumme Frage in ihren grauen Augen erscheinen mochte, bevor sie die Bitte registrieren und ihn entlassen würde. Er fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bevor ihn seine Mutter in den Thronsaal rufen würde, um ihm nahezulegen, von seiner Bitte Abstand zu nehmen.
    Oder - was noch schlimmer wäre - seine Mutter würde ihn nicht ersuchen, die Bitte zurückzunehmen. Dann würde er zwar in eine Gilde aufgenommen, käme aber zu einem unwilligen Meister in die Lehre. Denn welcher Gildenmeister wäre jemals aufgefordert worden, ein Kind aus dem Palast auszubilden? Für eine derartige Situation gab es keine Regeln und keine Übereinkunft. Versagte ein Sohn der Hallen in der Lehre, gab es in den Gilden Richtlinien, denen man folgte, so daß keiner in Verlegenheit gebracht wurde. Wenn aber der Sohn einer Barohna zum Lehrling wurde, und nicht gut lernte ...
    Und welche Garantie besaß er, daß er leicht lernen würde? Daß er sich jemals einen Platz in einer Gilde zu verschaffen vermochte, wenn noch niemand aus dem Palast in eine Gilde eingeführt worden war? Wenn noch kein Kind einer Barohna jemals in das Alter gekommen war, wo es wählen konnte, ohne daß es klar umrissene Aufgaben erwarteten?
    Er preßte die Finger gegen die Schläfen und versuchte dem Gefühl der Leere zu entgehen, die ihn den ganzen Winter über angegähnt hatte und die ihn jetzt zu

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