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Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied

Titel: Sternenseide-Zyklus 2 - Das Blaue Lied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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zugesehen, wie sein Vater das gemacht hatte. Dann würde er das Polster auf dem Rücken des Tieres festschnallen. Und endlich würde er die Mähne des Tieres packen und sich auf seinen Rücken schwingen.
    So hatte er es sich vorgestellt. Doch als das Tier näher trat, als es sich niederbeugte, um das Grasbüschel zu beschnuppern, das Danior aus der Hand gefallen war, als er Geschirr und Zügel aus dem Sack gleiten ließ – bereit –, da drückte eine Kraft wie eine schnelle, geballte Faust auf sein Herz. Er ließ Halfter und Zügel fallen und taumelte rückwärts, Panik kam auf, ihm war schwindelig. Danior war ein neuer Gedanke gekommen, einer, den er nicht erwogen hatte.
    Die Weißmähne anfassen?
Was wäre denn, wenn er Spuren hinterließe?
Er wußte aus dem Kern der Legende, wie sein Vater an das Fohlen herangekommen war, als es noch ein Fohlen im Wald war; wie er von ihm angezogen gewesen war und seine Hand auf seine Stirn gelegt hatte. Als er die Hand wieder zurückgezogen hatte, war das Zeichen seiner Finger verblieben, eine schwarze Blesse.
    Was wäre, wenn
seine
erste Berührung die Weißmähne auch zeichnete? Was, wenn er in die Mähne griff, und das seidige Haar würde schwarz? Was, wenn er den Nacken des Tieres berührte und dort eine dauernde Verfärbung hinterließe? Bei diesem Gedanken zog sich sein Brustkorb zusammen. Er hatte kein Recht, das Tier zu reiten. Was wäre, wenn ausgerechnet das Zeichen seiner Wade den Bauch des Tieres verunzierte?
    Es war schon erschreckend genug, daß er mit der Absicht hierher gekommen war, sich einen Teil der Legende seines Vaters anzueignen. Aber das glänzende Fell der Weißmähne zu verderben – seine Hände wurden kalt. Seine Nägel, sonst rosa gegen die dunkle Haut, waren kreidebleich. Er zitterte und versuchte, seine Selbstkontrolle wiederzugewinnen. Sein Vater war die einzige Person, die auf der Weißmähne ritt, aber nicht die einzige, die sie berührte. Er ließ zu, daß andere sie striegelten oder fütterten, wenn er es nicht konnte. Jeden Tag hielten sich Kinder vor dem Pferch der Weißmähne auf, streichelten ihre Nase und flüsterten ihr zu.
    Aber Danior war nicht wie die anderen. Er war weder ein Kind der Steinhallen, robust und hellhäutig, noch eine Palasttochter wie seine Schwestern. Er war ein Palastsohn, der einzige, der je geboren worden war. Er hatte nach der Tradition keinen Platz, keine Geschichte, keine Zukunft. Wer könnte sagen, welcher Makel an seinen Fingerspitzen haftete?
    Oder war das nur eine Entschuldigung, um den Plan fallenzulassen? Eine Entschuldigung, um nicht entdecken zu müssen, daß ein Ritt auf einer Weißmähne ihn nicht verändern würde in dem, was er war – und in all dem, was er nicht war?
    Das Gras, das er ausgerissen hatte, lag welk auf der Erde. Die Weißmähne stupste einmal daran, dann ging sie fort und graste weiter. Zuletzt stopfte Danior das Geschirr und die Zügel wieder in den Sack zurück und trat den Rückzug an. Er ging steif, seine Finger waren so kalt, daß er sie nicht schließen konnte. Wenn das ein Test gewesen war, so erkannte er freudlos, hatte er versagt. Er war leer ausgegangen.
    Später am Tag sah er von seinem Zimmerfenster aus, wie sein Vater die Weißmähne zum Pferch zurückritt. Die schwarze Blesse setzte sich glänzend gegen die unbeschädigte Weisheit des Tieres ab. Danior schaute zu, die Fäuste gegen das Nichts geballt.
    Noch später legte Danior sich hin und starrte auf Teile der durcheinandergewachsenen Stengellampen. Er prüfte die in ihm aufsteigende Bitterkeit. Warum war er der einzige, der keine Tradition, keinen Platz, keinen Weg hatte? Noch später – angeregt von einem Impuls, den er als irreführend erkannte, selbst als er ihm nachgab – verließ er sein Bett und ging zum Treppenhaus. Sein Schatten verlor sich in den schwächeren Schatten der Treppenwände, als er hinabstieg. Wenn er keine eigene Tradition besaß, wonach sollte er dann leben? Wäre er eine Palasttochter, so wäre jetzt die Zeit, seinem Tier nachzuspüren, die Veränderungen herauszufordern, die nur stattfanden, wenn man sein Leben riskierte. Vielleicht, so sagte er sich, ohne selbst ganz überzeugt zu sein, wartet in diesem Moment ein Breeterlik, ein KlippCharger, ein Schneeminx in den Bergen darauf, ihn auf die Probe zu stellen und zu verändern, genauso, wie seine Schwestern eines Tages auf die Probe gestellt und verändert würden.
    Es war Essenszeit, und die Flure waren leer. Daniors Magen zog sich beim

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