Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide
Arm. »Und ihre Krallen ...«
»Ihre Krallen sind stumpf. Wir haben von ihnen nichts zu befürchten. Aber wir müssen uns vor dem angespitzten Stock in acht nehmen, den der kleinere trägt. Und wenn du dir den größeren anschaust ... er trägt einen einzelnen Zahn an seiner Taille. Sieh nur, wie er glänzt.«
Tsuuka fand es nicht schwer, sich auszumalen, welchen Schaden der Eindringling mit seinem scharfgratigen Zahn anzurichten vermochte. Ihre eigene Mutter hatte in ihren späteren Jahren – als ihre eigenen Zähne ihr den Dienst versagt hatten – einen solchen Zahn getragen, aber er war von den Steinen schartig gewesen.
Dariim hatte wieder angefangen zu beben, aber diesmal vor Eifer. »Du bist die beste Jägerin des Waldes, aber du hast nie ein so großes Wild erlegt«, flüsterte sie.
Tsuuka erstarrte. »Wir erlegen jetzt kein Wild, Junges. Wir nehmen nur die Himmelsseide. Und zwar werden wir es so machen ...« Sie hatte keine Ahnung. Das war die verblüffende Wahrheit. Sollten sie ohne Umstand aus dem Schatten springen und die Eindringlinge mit geschickten Schlägen ihrer Krallen zu Boden werfen? Das schien ihr nicht richtig zu sein, denn sie erinnerte sich, daß die Eindringlinge ein hilfloses Junges aus dem Grasland mit sich geführt und ihr anvertraut hatten. Es schien ihr nicht richtig, denn ihr fiel der Mut ein, den sie in der vergangenen Nacht in den Augen des kleineren Eindringlings wahrgenommen hatte. Es schien ihr nicht richtig, denn sie dachte daran, wie viele leere Nächte die Sternenseide für sie mit Leben erfüllt hatte.
Sollte sie dann aus dem Schatten treten und um die Seide bitten? So, wie sie eine andere Sithi bitten würde? Aber sie konnte die Sprache der Sternenstimmen nicht. Sie glaubte nicht einmal, ihre Zunge dazu bringen zu können, diese Laute zu erzeugen. Sie hatte keine stumpfen Zähne, hinter denen sie die Worte formen konnte. Ihre Zähne waren scharf; sie schnitten ihre Worte in Zischlaute.
Sie knurrte leise vor Enttäuschung. Ob die Eindringlinge sie verstehen würden, wenn sie in ihrer eigenen Sprache nach der Seide verlangte? Die Sternenseide benutzte zuweilen ein paar Worte der Sithi-Sprache. Vielleicht beherrschten die Eindringlinge ihre Sprache.
Das einzige, das sie nicht tun konnte, war umzukehren; nicht, wo Dariim mit glühender Ungeduld darauf wartete, was sie unternehmen würden. Tsuuka bedachte noch einmal die verschiedenen Möglichkeiten sorgfältig, dann erhob sie sich entschlossen.
»Komm, wir werden das tollkühnste Stück unternehmen, das wir je gewagt haben, meine Tochter. Wir werden einfach zu diesen Eindringlingen hingehen und sie danach fragen,
was sie verlangen.«
Das nahm Dariim den Atem, aber nur vorübergehend. Dann war sie ganz Begeisterung. Tsuuka machte absichtlich Lärm mit den Zweigen, um den Eindringlingen ihr Auftauchen anzukündigen. Als ihre Stimmen abrupt verstummten, wußte sie, daß sie gehört worden waren. Die Eindringlinge erwarteten sie in angespannter Stille, als sie vortrat; Dariim in ihrem Gefolge. Sie waren wieder zwei, wie am Abend zuvor. Einer groß und muskulös mit schimmerndem weißem Fell, das er als Kopfbedeckung trug, der andere schmal, sein dunkleres Fell fiel ihm über den Rücken. Ihre Gesichter waren vor Überraschung erstarrt und trugen nur noch einen kläglichen Rest eines intelligenten Ausdrucks – wenn man überhaupt von Intelligenz reden konnte.
Sie schienen eine ganze Weile zu brauchen, um glauben zu können, was sie sahen. Aber der größere nahm seinen schimmernden Zahn nicht von der Taille, und der kleinere unternahm keine bedrohliche Geste mit seinem zugespitzten Stock.
Anfangs sprach Tsuuka sanft, um sie nicht einzuschüchtern. »Sternenstimmen, ich habe euch irrtümlich meine Himmelsseide hergegeben. Ihre Schwestern weinen. Ihr Gesang ist leer seitdem. Ich muß sie in mein Nest zurückbringen.« Sie starrte von einem zum anderen, begierig, ein Zeichen des Verstehens zu sehen.
Dennoch war sie erregt, als es kam – als der kleinere der Eindringlinge unverzüglich seinen Stock beiseite legte, die Himmelsseide von seiner Taille losband und sie ihr mit ausgestreckten Händen hinhielt. Das Gesicht des Eindringlings war verschlossen, seine Augen waren rund. Er schien den Atem anzuhalten. Die Hand des größeren Eindringlings schwebte genau über dem Griff seines Zahnes.
Tsuuka zögerte kurz, schätzte die Gefahr ab, dann berührte ie Dariim an der Schulter. »Nimm sie entgegen, meine Tochter!« Wenn Dariim
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