Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide
unbedingt kühne Taten vollbringen wollte: hier gab es eine zu vollbringen; eine Tat, die nicht unbedingt völlig ungefährlich sein mußte. Denn wer würde vermuten, daß Geschöpfe wie diese ihre Bitte verstünden und ie so prompt erfüllten?
Dariims Augen glitzerten, und Tsuuka fühlte die Anspannung ihrer Muskeln unter ihrem schimmernden Fell. Ihr erster Schritt war zögernd. Dann sprang sie mutig vor und ergriff die Himmelsseide; ließ sie durch die Luft flattern, als sie mit ihr zurücksprang.
Die Eindringlinge wichen instinktiv zurück. Eine Weile sahen sie einander nur an, und keiner von ihnen machte ein Geräusch. Dann sagte der schmächtigere von ihnen etwas, das beinahe wie eine Frage klang.
Aber er sagte es nicht auf sithisch. Tsuuka nahm Dariim die Himmelseide aus den verkrampften Fingern. Sie drückte sie sich ans Gesicht, begierig nach ihrer kühlen Berührung.
»Du hast die Harmonie meines Nestes wiederhergestellt«, sagte sie leise in dankbarem Ton. Dann zog sie Dariim mit sich in den Schatten zurück.
Sie wartete angespannt, während sie Dariims Arm umklammert hielt, ob die Eindringlinge ihnen folgen würden. Aber sie taten es nicht. Sie starrten hinter ihnen her, dann gingen sie fort, wie in der Nacht zuvor – ihre Gesichter wurden zu bleichen Ovalen gegen den Hintergrund der Finsternis –, dann waren sie verschwunden.
Tsuuka band die Seide so um ihre Taille, wie sie der Eindringling getragen hatte. Dann schlüpfte sie vorwärts und bekam kurz die Witterung der Eindringlinge in der Nase. Ihre Spur führte jetzt in die Richtung, wo das Herz des Waldes lag. Entgeistert spähte sie dorthin, vorübergehend von einer bösen Ahnung befallen, die sie nicht benennen konnte. Aber sie hatte nicht die Zeit, diesen flüchtigen Eindruck zu untersuchen. Dariim schnappte vor Erregung um sich und gluckste zwischen den Atemzügen in sich hinein. Tsuuka bemerkte nebenher, daß jetzt keine Anzeichen für Nachtmahre über ihr waren. Und bald würde die Sonne aufgehen.
Dariim mußte bis dahin sicher schlafen, oder sie würde überhaupt nicht schlafen.
Das Herz des Waldes – die Eindringlinge gingen ins Herz des Waldes.
»Komm, meine Tochter«, sagte sie vorsorglich. »Wir müssen uns einen Baum aussuchen, damit du erfahren kannst, was Singträume sind und wie stark und geschickt sie dich machen können. «
Dariim gluckste laut, als sie das hörte; sonnte sich im Ruhm ihrer tapferen Tat. »Aber, Mutter, schau doch nur; schau, was ich getan habe. Ich bin bereits stark. Die Nachtmahre sind verschwunden.«
»Nein«, erwiderte Tsuuka streng. »Sie sind nur blasser hier. Wenn du ins Herz des Waldes zurückgehst, wirst du sehen, wie lastend und dunkel sie sind. Denn dort sind sie am geballtesten. Eines Tages werde ich dir erzählen, warum das so ist. Heute nacht mußt du mir aber gehorchen, weil ich weiß, was am besten ist.« Sie sprach das alles mit einer ruhigen Gewißheit aus, die sie nicht empfand, denn sie war ganz und gar nicht davon überzeugt, daß Dariim ihr gehorchen würde. Nicht, solange der Übermut über ihre Heldentat sie beherrschte und der Schrecken der Nachtmahre schwächer war. »Komm, Junges.«
Dariims Wille zum Widerstand kam in ihrem sorglosen Schritt zum Ausdruck und zeigte sich im trotzigen Glitzern ihrer Augen, als sie zurück zum Herzen des Waldes schaute. Aber als sie zurück durch den Wald hasteten, berührte sie zuweilen die azurblaue Seide. Bei diesen Gelegenheiten änderte sich der Ausdruck in ihren Augen; wurde zugleich ängstlich und erwartungsvoll.
Demnach war sie von der Aussicht auf diese neue Erfahrung eingeschüchtert. Das machte es Tsuuka leichter, darauf zu bestehen, daß sie mitkam. Sie würde ihre Furcht niemals freimütig zugeben, indem sie offensichtlich zögerte.
Tsuuka hielt nach einem Baum im besten Alter Ausschau, hochgewachsen und mit ausladender Krone, der aber nicht knarren und dadurch Dariim wecken würde, wenn sie später fortschlüpfte.
»Hier«, sagte sie, als sie einen Baum gefunden hatte, der ihr zusagte. »Du mußt den Ast auswählen. Er muß hoch sein, damit die Himmelsseide das Licht unterhalb des Horizonts einfangen kann.«
»Und du bleibst bei mir?« erkundigte sich Dariim und sah den hohen Stamm des Baumes empor.
»Wie könnte ich sonst meine Seide anweisen, dir Singträume zu geben?« erwiderte Tsuuka und war erleichtert, keinerlei Anzeichen dafür bemerken zu können, daß Dariim ihre Unaufrichtigkeit durchschaut hatte. Wenn sie nur das
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