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Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide

Titel: Sternenseide-Zyklus 3 - Sternenseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sydney J. Van Scyoc
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zu bekommen ...
    Hatte ihre Himmelsseide ihr nicht gesagt, die Ungesehene könne die Kampflust ihrer Leibwächter zügeln? Möglicherweise vermochte sie noch mehr. Vielleicht konnte sie die rote Seide anweisen, sich Tsuuka auszuliefern. Sie schloß die Augen und versuchte, sich an die Ungesehene zu wenden; versuchte, was sie fühlte, auf die fleischliche Kreatur zu projizieren, die dort im Herzen des Waldes verbortgen war. Ihre Gefühle waren von einer schmerzlichen Intensität. Sie konzentrierte sich auf ihren Verlust, den sie bereits vor Jahren erlitten hatte; auf einen Verlust, den sie erneut erleiden mochte.
    Sie versuchte, der Ungesehenen das Strahlen der Augen ihres Jungen zu zeigen; das Strahlen, das nicht erlöschen durfte. Sie dachte an die flammend rote Seide und ihren höhnischen Gesang. Sie legte der Ungesehenen sämtliche Gründe dar, aus denen sie die rote Seide haben mußte, um sie heimzutragen in ihren Nestbau.
    Sie legte die äußerste Kraft ihres Gemütes hinter ihre Gedanken, aber es kam keine Erwiderung. Die geflügelten
    Schatten wurden nicht lichter. Sie lagen nach wie vor schwarz und lastend unter den Bäumen. Und die rote Seide erschien nicht, um sich ihr auszuliefern.
    Schließlich kauerte Tsuuka sich gegen den nächsten Baum und verbiß sich den Schmerz, den ihre Hilflosigkeit ihr bereitete. Wie konnte sie auch ohne ihre Himmelsseide mit der Ungesehenen reden? Und selbst, wenn es ihr gelänge, ihre Gedanken in die richtige Form zu kleiden – welche Sicherheit hatte sie, daß die Ungesehene genug Zeit oder Macht haben würde, sich um ihre Probleme zu kümmern – oder daß sie dazu imstande wäre, die rote Seide zu überreden, sich selbst in Abhängigkeit zu begeben?
    Da saß Tsuuka nun, zusammengekauert und ohnmächtig; bis sie anfing, über sich selbst ärgerlich zu werden. Da trieb sie sich ihre scharfen Krallen in die Arme und hob den Kopf und zwang sich zu einer Entscheidung, was sie als nächstes tun wollte. Der Mond sah auf das Schweigen hernieder. Die rote Seide ließ sich nicht blicken.
    Also verblieb sie in ihrem Versteck, und Tsuuka hatte keine Ahnung, wo das sein konnte; außer, daß es in der Nähe sein mußte. Nahe genug, um sie singen hören zu können, wenn sie herauskäme; nahe genug, um sie nochmals anzuschleichen und einzufangen zu versuchen.
    Aber sie war müde. Der Schlafmangel ließ ihre Muskeln schmerzen. Sie würden sie im Stich lassen, wenn sie diesem Bedürfnis nicht nachkam. Sie grub ihre Krallen in den Boden und dachte nach. Konnte sie jetzt, wo sie die Nachtmahre völlig durchschaut hatte, schlafen, ohne von ihnen zerrissen zu werden?
    Sie konnte es nur ausprobieren. Versuchsweise rollte sich Tsuuka nochmals eng zusammen, schmiegte sich in den Schatten des Buschwerks und schloß die Augen. Bedächtig gab sie ihre Wachheit auf und ließ zu, daß ihr die Alptraumbilder näherrückten. Sie berührten sie mit einer dunklen Drohung; und sie zwang sich dazu, gleichmäßig zu atmen, und befahl ihrem Herzen, ruhig zu schlagen. Allmählich und behutsam ließ sie sich in den langsam wabernden Strudel des Alps treiben; ließ sich in ihm wirbeln, ohne ihm Widerstand entgegenzusetzen. Bald schlief sie ein und wurde sich nur oberflächlich des gelegentlichen Zuckens ihrer Glieder und ihres Stöhnens bewußt.
    Es war kein Geräusch, das sie später aufweckte, als der Mond untergegangen war und die erste zaghafte Andeutung der Morgendämmerung den Himmel berührte. Es war keine Bewegung. Es war nur der Druck des Blickes aus zwei gemarterten Augen. Sie starrten sie aus den nahen Schatten an; weitgeöffnet in unsäglichem Schrecken ... die Augen Dariims.
    Tsuuka kämpfte sich wach, rang nach Luft; ihr Herz raste. Sie hatte schon vermutet, daß Dariim nicht in ihren Seiden bleiben würde. Sie hatte erwartet, daß sie herkommen würde; heute nacht oder in einer der nächsten Nächte. Aber was hatte sie gefunden, das dieses Entsetzen in ihren Augen hervorgerufen hatte? Und was war mit Falett
    Die Stille unter den Bäumen war so friedlich, daß Tsuuka zögerte, sie mit dem Tappen ihrer Pfoten auf dem Waldboden zu brechen und dorthin zu eilen, wo Dariim kauerte. Als sie es dennoch tat, erwartete sie, daß die Bäume in Alarmrufe ausbrechen würden. Aber sie vernahm nur den leisen Laut ihrer eigenen Pfoten. Und dann den ihrer Stimme: »Wo hast du deine Schwester gelassen, Tochter?«
    Dariim sah erschrocken auf; sie wirkte, als wären ihre Nackenmuskeln vor Furcht zusammengezogen. Ihr

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