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Sternenspiel

Sternenspiel

Titel: Sternenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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mit dem Haus.
    Nein, es entspräche nicht der Wahrheit, wollte ich behaupten, ich würde mich vor meinem Großvater fürchten. Selbst als Kind hatte ich keine Angst vor ihm gekannt. Angst hat man normalerweise vor dem Vater – was ja auch gar nicht verkehrt ist. Nur hatte ich nie erfahren, was eine zärtliche Mutter, was ein strenger Vater ist.
    Meine Eltern waren tödlich verunglückt. Ich war damals zwei Jahre alt gewesen. Ein Flugzeugabsturz, mit einer dieser dämlichen Tupolews, einer Tu-154. Diesen Typ hätte man schon in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts aus dem Verkehr ziehen sollen. Infolgedessen hatte mich mein Großvater erzogen … falls man das Erziehung nennen durfte.
    Ich trippelte vor der Pforte auf und ab. Sie war nicht abgeschlossen, schließlich wurde die ganze Siedlung in Peredelkino hervorragend bewacht.
    Gut, es half nichts, ich musste Rede und Antwort stehen.
    Ich stieß die Pforte auf und betrat den Garten. Die Fenster der Datscha schimmerten durch die Bäume hindurch, schwach in der Diele im Parterre, heller im ersten Stock, im Zimmer meines Großvaters.
    Erst unmittelbar vor dem Haus schoss hinter den Bäumen ein lautloser schwarzer Schatten hervor und stürzte sich auf mich. Ich blieb stehen und ließ mich von Tyrann beschnuppern.
    »Na?«, fragte ich. »Erkennst du mich denn nicht?«
    Ein kaukasischer Schäferhund ist ein sich seiner Wichtigkeit bewusster Hund. Folglich inspizierte Tyrann erst fünf Sekunden lang meine Hosen, bevor er sich auf dem Weg hinlegte. Er verlangte Aufmerksamkeit, der durchtriebene Kerl. Ich weiß nicht warum, aber in den ganzen vier Jahren seines Hundelebens hatte er es nicht gelernt, mich als Herrchen anzuerkennen. Eher sah er in mir einen Spielgefährten, mitunter auch ein Instrument des Bauchkraulens. Zumindest las ich in diesem Moment Letzteres in seinen Augen.
    »O nein, mein Junge, da hast du dich verrechnet.« Ich stieg über den Hund hinweg, holte den Schlüssel heraus und schloss auf. Tyrann gab unter Aufbietung aller Kräfte vor, nicht enttäuscht zu sein und sich aus purem Ruhebedürfnis auf den Weg gelegt zu haben.
    Ich trat ins Haus ein und schloss hinter mir wieder sorgfältig ab. Ein Wachschutz ist schön und gut, der Hund im Garten bekam sein Pedigree auch nicht umsonst -aber ein Schloss war nun mal der zuverlässigste Schutz.
    »Bist du müde, Petja?«
    Wie angewurzelt verharrte ich in der Diele und schielte nach oben, die hölzerne Wendeltreppe hinauf. Die brüchige Greisenstimme kam aus seinem Zimmer. Mein Großvater musste die Tür offen gelassen haben, damit er hörte, wann ich heimkam.
    »Nein, Großpapa!«
    »Dann komm rauf.«
    Mit einem Anflug von Sehnsucht schaute ich auf meine Zimmertür. Könnte ich doch jetzt in mein Bett schlüpfen, das zwar schon ein wenig durchgelegen war und quietschte, mir dadurch jedoch nur umso vertrauter war … Ich würde eine CD mit Meeresbrandung abspielen … oder nein, ich würde das Fenster aufreißen und dem Rauschen im Garten lauschen …
    »Pjotr Danilowitsch!«, brüllte mein Großvater.
    »Ich komme!« Ich hechtete die Treppe hoch.
    Die Stufen waren recht flach, vermutlich damit die altersschwachen Schriftsteller die russische Literatur nicht um ihren Reichtum brachten, indem sie die Treppe runterstürzten. Ich beschrieb einen ganzen Kreis auf der Wendeltreppe, bevor ich den ersten Stock erreichte. Die Tür zum Zimmer meines Großvaters stand offen, von den anderen Räumen, die längst und zuverlässig verschlossen waren, wehten förmlich Dunkelheit und Einsamkeit herüber. Und düster war es hier … Wie überstand mein Großvater wohl die Zeit ohne mich?
    Andrej Valentinowitsch Chrumow, einst von Beruf Psychologe und Publizist, seinerzeit Teilnehmer an den Verhandlungen zwischen der Erde und dem galaktischen Konklave, der Mann, den man den Himmler des Weltraumzeitalters genannt hatte, ein dicker siebzigjähriger Greis, mein Großvater …
    Er saß in einem alten Ledersessel, der früher mal hellbraun gewesen, inzwischen aber bis ins Falbe ausgeblichen war und den Ton der silbergrauen Haare meines Großvaters zeigte. Schweigend sah er mich an. Auf dem Tisch leuchtete der Schirm seines Laptops, aus der Ecke des Raums, die dem klapprigen Bücherregal gehörte, brummte der laufende Fernseher.
    »Was gibt’s denn, Großpapa?«, fragte ich leise.
    Mein Großvater stemmte sich langsam hoch, kam auf mich zu und schloss mich in die Arme. Ich überragte ihn um einen Kopf, fühlte mich jetzt aber

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