Sternenzitadelle
gefragt, ob sein Vorgänger von eben diesen Schutzmechanismen profitiert hatte, denn niemand hatte jemals gewusst, welche Ziele dieser Mann verfolgte, nicht einmal seine Vertrauten. Oder hatte der einstige »Tyrann Venicias« sich der Hexerei verwandten Techniken bedient, um seine Pläne zu realisieren? Durch welche Zauberei hatte er Fracist Bogh dazu gebracht, den Namen Barrofill zu wählen, ein Name, der seitdem auf allen Welten des Ang-Imperiums als ein Synonym für Ausschweifungen und Perversionen galt?
Der Muffi ahnte, dass ihn mehr mit seinem hinterhältigen Vorgänger verband, als er bisher vermutet hatte. Eine teilweise Amnesie, die viel Ähnlichkeit mit dem Auslöscher-Syndrom hatte, bestätigte ihn in seiner Annahme: Er konnte sich nicht erinnern, was er in den wenigen Stunden vor dem Tod Barrofills XXIV. getan oder gesagt hatte. Ein völliges Versagen seines Erinnerungsvermögens.
Obwohl sich der Muffi vor mentalen Ausforschungen schützen konnte, hatte er seine Gedanken behalten, um keinen Verdacht zu erwecken, und außerdem beschlossen, einen Privatsekretär zu ernennen – auch wenn das den
ständigen Gerüchten über seine angebliche Homosexualität neue Nahrung bot –, einen ehrlichen Mann, dem er Informationen mit der Absicht zukommen lassen konnte, seine Feinde zu täuschen. Seine Wahl war auf Adaman Mourall gefallen, dessen schmächtige blaugrün gekleidete Gestalt er jetzt im rotvioletten Meer der Kardinäle entdeckte. Er bedauerte es, seinen jungen Mitplanetarier als mentalen Köder zu benutzen, weil er ihn als Mensch schätzte. Doch ein solches Vorgehen war ihm unerlässlich erschienen, weil er glaubte, auf diese Weise sein Täuschungsmanöver besser kaschieren zu können. Und den aberwitzigen Reaktionen seiner Gegner nach zu urteilen, hatte sich seine Strategie als effizient erwiesen.
Während sich Höflinge und Kardinäle in allerlei Spekulationen ergingen, stattete er der Geheimbibliothek regelmäßige Besuche ab, informierte sich in dem Filmbuch der Kirche des Kreuzes, sog das Wahre Wort in sich auf, blätterte in anderen Werken von geringerem Interesse und lernte die der Heilung dienenden Inddikischen Schriftzeichen auswendig. Seine innere Stimme manifestierte sich nur noch sporadisch und lehrte ihn nichts Neues, als warte sie, ob er alle ihre Anweisungen befolgt habe.
Zu diesen geheimen nächtlichen Aktivitäten und seinen täglichen Pflichten kamen noch die ebenfalls täglichen Besuche in Begleitung Adaman Mouralls in der Krypta des Palastes, wo die kryogenisierten Körper ruhten. Immer wenn er vor diesen gläsernen Sarkophagen stand, wurde er von einem beinahe entzückten, ihm unerklärlichen Gefühl ergriffen. Doch er ahnte, dass diese Emotionen etwas mit seinen Besuchen in der Geheimbibliothek zu tun haben mussten, denn diese starren Gesichter und Körper strahlten die Kraft des Wahren Wortes aus;
sie waren mit den Schriftzeichen der Inddikischen Lehre auf geheimnisvolle Weise verwoben, auf immaterielle Weise – doch dieses Geheimnis hatte er bisher nicht zu entschlüsseln vermocht.
Zwar hatte der Seneschall Harkot ihm diese Körper anvertraut, sich aber nicht so großzügig gezeigt, ihm deren DNA und die Zusammensetzung der Kühlflüssigkeit anzugeben, mit der Begründung, derartige Informationen unterständen der Geheimhaltung, weil sie für die Sicherheit des Ang-Imperiums von Bedeutung seien.
Die Messe neigte sich dem Ende zu.
Dies war keine Auslöschungsmesse, eines dieser von den Vikaren monatlich etablierten Rituale, bei denen die Scaythen nach Belieben in die Köpfe der Gläubigen eindringen, um ihnen – so lautete die offizielle Version – den Wahren Glauben zu implantieren, Gerüchten zufolge jedoch, um dort Liebe, Hass, Dummheit oder Wahnsinn zu säen. Eine Methode, von der die Höflinge ständig Gebrauch machten, denn sie verbrachten die eine Hälfte ihrer Zeit damit, die Auslöscher-Scaythen zu bestechen, und die andere Hälfte dann damit, die Konsequenzen ihrer Intrigen und Betrügereien zu ertragen.
Der Muffi vermutete, dass die Scaythen andere Veränderungen in den Gehirnen vornahmen als ihnen aufgetragen war. Veränderungen, die ihnen allein bei der Verfolgung ihrer Ziele nützlich waren. Was genau diese Ziele waren, wusste er allerdings nicht, noch war er momentan in der Lage, diese Praktiken zu unterbinden. Er hatte die Tür zur Wahrheit erst einen Spaltbreit aufgestoßen und musste in der Geheimbibliothek mehr herausfinden und mehr von den
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